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Ernst, Ruth und Stefan Wertheimer

Das Leben gerettet, die Heimat verloren

Mathildenstraße 8

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Eine dramatische Familiengeschichte: Ernst und Ruth Wertheimer, beide jüdisch, beide in Straßburg geboren und in Ludwigsburg sesshaft und erfolgreich geworden, flohen 1938 vor der immer bedrohlicheren Nazi-Verfolgung mit ihrem dreijährigen Sohn Stefan in die Schweiz und schließlich in die USA. Der meiste Besitz war an das Terrorsystem verloren.

Ernst Wertheimer war seinem Vater Simon als einer von zwei Geschäftsführern der „Karl Weis & Co“-Metallwarenfabrik nachgefolgt, sein Partner war sein Vetter Kurt, der Sohn von Karl Weis. Die Väter hatten das Unternehmen 1903 in der Alleenstraße 46 gegründet  (siehe Bericht unten „Eine Fabrik in der Innenstadt…“). Simon Wertheimer war 1930, ein Jahr vor seinem Tod, zum Vorsteher der israelitischen Gemeinde Ludwigsburg gewählt worden.

Aus Aufschrieben zur Familiengeschichte und aus Akten im Ludwigsburger Stadtarchiv, im Staatsarchiv Ludwigsburg und nicht zuletzt aus rund 3.000 Seiten Rechtsanwalts-Unterlagen, die im digitalen Archiv des Leo-Baeck-Instituts erhalten sind,  lässt sich einiges vom Arbeiten und Leben dieser Ludwigsburger Familie nachvollziehen. 

In den USA versuchte Ernst Wertheimer eine neue Unternehmer-Laufbahn: Nach Beratung durch eine Organisation für jüdische Einwanderer betrieb er in New Jersey eine Geflügelfarm. Das Unternehmen hatte keinen dauerhaften Erfolg, womöglich auch wegen der bereits früh angeschlagenen Gesundheit des früheren Drahtwaren-Fabrikanten. Er wurde zuletzt Vertreter für die Produkte seiner früheren Branche, besonders für Vogelkäfige aus deutscher Produktion.

Offensichtlich verbrauchte Ernst Wertheimer einen erheblichen Teil seiner Kraft für die rechtlichen Auseinandersetzungen zur Entschädigung für geraubtes Eigentum – für die Firma, für das Wohnhaus Mathildenstraße 8, für verschollenes Umzugsgut, für Eigentum von ermordeten Angehörigen. Ernst Wertheimer starb 1961, seine Frau Ruth 2008. Ihr Sohn Stefan / Stephen gab im Alter von 87 Jahren von Boca Raton (Florida) aus die Anregung, Stolpersteine vor der verlorenen Heimat seiner Eltern zu verlegen.

Jochen Faber

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Eine Fabrik in der Innenstadt weckt die Gier von Nazis

Engagierte Unternehmer konnten in Ludwigsburg ihr Glück machen. Mitten in der Stadt gab es zahlreiche Firmen, in denen viele Dutzend Menschen produzierten, was man gebrauchen konnte. Die „Metallwaren-Fabrik Karl Weis & Cie“ beispielsweise stellte her, was aus Draht und Blech gemacht werden konnte: Vogelkäfige, Schneebesen, Tortenplatten, Briefkästen und so weiter. Trotz zahlreicher Mitbewerber waren die Vettern Ernst Wertheimer und Kurt Weis offensichtlich sehr erfolgreich, die das 1903 von ihren Vätern gegründete Unternehmen führten. Zeitweise waren mehrere hundert Arbeiterinnen und Arbeiter in der Alleenstraße 46 beschäftigt.

Wertheimer und Weis waren Juden. Als wache Unternehmer war ihnen klar, dass die Herrschaft der Nazis sie in ihrer Existenz bedrohte: „Kurz nach dem Machtantritt der Nazibewegung begannen die antijüdischen Boykott- und Verfolgungsmaßnahmen“, gab Ernst Wertheimer 1948 eidesstattlich zu Protokoll. „[…] schließlich wurde ich, im Jahre 1938, von einem lokalen Leiter der Naziorganisation Deutsche Arbeitsfront – einem Herrn Eckerle – eindeutig darauf hingewiesen, dass auf lange Sicht nur eine ,Arisierung‘ des Betriebes eine drohende Vernichtung desselben verhindern könne.“

Daher sahen die Eigentümer sich gezwungen, „den Betrieb alsbald in arische Hände zu überführen, zumal gleichzeitig die allgemeinen Lebensbedingungen für Juden in Ludwigsburg […] so unerträglich wurden, dass eine schleunige Auswanderung zwangsläufig wurde.“

Soweit sich die Vorgänge aus den Akten nachvollziehen lassen, beauftragten Wertheimer und Weis einen Stuttgarter Makler namens Eugen Schneider, nach einem Käufer zu suchen. Dessen Anzeige erreichte dann einen Bergwerksdirektor der Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG, Berlin – einen gewissen Albert Herberholz, Mitglied der NSDAP seit 1933. Dieser hatte, so formulierte es später sein Rechtsanwalt, „lediglich Interesse daran, sich einmal einen eigenen kleineren Fabrikbetrieb zu erwerben.“

An den Verhandlungen um den Kaufpreis waren auch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Gauleitung Württemberg-Hohenzollern beteiligt. Die DAF wollte eine erhebliche „Spende“ vom Kaufpreis erhalten, die Gauleitung übte starken Druck auf die Eigentümer aus. In einem privaten Brief schrieb Herberholz am 13. September 1938 über die Einflussnahme der Politik: „Man hat dann noch einmal mit Wertheimer gesprochen und hat Wertheimer veranlasst, den Kaufpreis noch einmal herabzusetzen, was dieser anscheinend sehr schweren Herzens auch tat. Bei der DAF hat Wertheimer, um später nicht noch größere Schwierigkeiten zu bekommen, wie er mir sagte, auch noch einmal RM 5.000,– gespendet. […] Die ganze Angelegenheit ist ja für mich erheblich günstiger geworden, aber für die Verkäuferseite doch langsam zu einem Trauerspiel ausgewachsen.“

Zunächst war der verhandelte Preis bei 90.000 Reichsmark gelegen. Herberholz berichtet über ein Gespräch mit einem Vertreter der Politik: „Ob ich diese RM 90.000,– nun an den Juden zahlte oder ob davon einen Teil die DAF und einen die Gauleitung erhielt, das seien ja nicht mehr meine Angelegenheiten.“ Zuletzt kostete ihn das Unternehmen 60.000 Reichsmark und die Familien Wertheimer und Weis erhielten nichts davon.

Nach dem Ende der Nazidiktatur und mit teils wechselnder Gesetzgebung zur Entschädigung der Opfer erstritten die Anwälte der Familie Weis, die nach England geflohen war, und der Wertheimers von den USA aus, dass Herberholz die Fabrik zurückgeben musste. Herberholz beklagte, das Unternehmen sei in einem miserablen Zustand gewesen und nur durch seinen großen Einsatz wieder sehr rentabel geworden. Außerdem sei er keinesfalls als Nazi-Aktivist aufgetreten oder bevorzugt worden. Gegen seine Behauptungen sprachen viele Unterlagen und letztlich war die Rechtslage eindeutig: Die Metallwarenfabrik gehörte wieder den Familien Weis und Wertheimer.

1955 verkauften die Familien, die nicht nach Deutschland zurückkehren wollten, das Unternehmen an einen amerikanischen Vertriebspartner, der es dann an die Familie Braun veräußerte, die bereits Eigentümer des Unternehmens Wagner & Keller mit ähnlichem Sortiment war.

Jochen Faber

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