Elise Münz

Wortgewandt, freundlich, fleißig

Bogenstraße 10

Vortrag anlässlich der Stolpersteine-Verlegung für Elise Münz
von Marc Haiber

Dort wo ich lebe wurden sehr viele Menschen auf Grundlage der nationalsozialistischen Ideologie in den Tod geschickt: mehrere Hunderte Menschen von der Sammelstelle für Sinti und Roma vom Hohen Asperg in die Konzentrationslager und 120 Menschen von der Landesfürsorgeanstalt Markgröningen nach Grafeneck und in Ludwigsburg wohnten überall im Stadtgebiet Menschen die aus den unterschiedlichsten Gründen verfolgt wurden.

Es konnte jeden treffen. Und die Täter waren genauso überall – die Nazis waren nicht das abstrakte böse andere, sondern Verwandte, Nachbarn usw. Es liegt an uns in welcher Gesellschaft wir leben – wer sich nicht erinnert verliert die Orientierung.

Wir erinnern uns hier an Elise Münz mit dem Bewusstsein, dass ein Vergessen der Vernichtung Teil der Vernichtung selbst wäre.


Elise Münz wohnte hier in Ludwigsburg in der Bogenstraße 10 im 2. Stock

Sie ist geboren am 3.5.1885. Sie war römisch-katholisch getauft und Württembergische Staatsangehörige

Ihre Eltern waren Jakob und Dorothea Münz. Ihr Vater war von Beruf Schlosser. Die beiden heirateten wenige Monate vor Elises Geburt.

Elise Münz war das einzige gemeinsame Kind der beiden. Ihre Mutter starb bereits am 25.05.1890, also kurz nach Elise 5. Geburtstag.

Ihr Vater heiratete seine zweite Ehefrau, Elises erste Stiefmutter, noch im selben Jahr (am 15.11.1890). Auch diese Ehe hatte wenig Glück, denn Jacobs zweite Ehefrau verstarb keine 4 Jahre nach der Hochzeit (am 1.11.1894). Elise war zu diesem Zeitpunkt 9 Jahre alt. Die Ehe brachte drei Kinder hervor. Diese Halbgeschwister von Elise starben alle kurz nach der Geburt im Kleinkindalter. Besonders tragisch war, dass Elises Stiefmutter selbst nur 2 Tage nach der Entbindung ihres 3. Kindes starb (dieses Kind starb bereits am Tag der Geburt).

Knapp 5 Monate später heiratete Jacob ein drittes Mal. Marie Münz war nun die zweite Stiefmutter von Elise. Sie wird später in ihrer Weinsberger Patientenakte als die nächste Verwandte und Angehörige angegeben. Die Ehe zeugte drei Kinder. Diese Halbgeschwister von Elise waren zwischen 11 und 23 Jahre jünger als sie selbst. Vielleicht war die Bindung zu diesen Halbgeschwistern aufgrund der Altersunterschiede weniger eng. Zumindest wurde bei ihrer Weinsberger Patientenakte angegeben, dass sie keine Geschwister hätte. Die tragischen Todesfälle von Mutter, erster Stiefmutter und Halbgeschwister dieser Eher lassen vermuten, dass die Kindheit von Elise nicht einfach war. Es liegt nahe, dass es schwierig für sie als Kind sein musste, den Verlust von sehr wichtigen Bezugspersonen zu verkraften. Als Kind sei Elise Münz schon immer eigensinnig und herrschsüchtig gewesen.

Elise Münz war zeitlebens ledig.
Von Beruf war sie Verwaltungsangestellte (damalige Berufsbezeichnung (Kontoristin) .
Von Elise Münz liegt uns diese Fotographie vor, welches sie im Erwachsenalter zeigt.

Als erwachsene Frau hatte sie eine Körpergröße von lediglich 1,42m, bei einem Körpergewicht von ca. 50 kg. Ihre Augenfarbe war blau. Ihre Haarfarbe wird im Alter von 46 Jahre als grau angegeben. 1940 bei ihrer Deportation nach Grafeneck in den Tod wurde im Fahrverzeichnis als mitgegebenem persönlichen Besitz auch eine Brille vermerkt – vermutlich wurde sie also im Laufe ihres Lebens zur Brillenträgerin.

Elise Münz Vater Jacob starb 64-jährig am 28.7.1926. Elise Münz war zu diesem Zeitpunkt 41 Jahre alt und wohnte im gleichen Haus wie er in der Bogenstraße 10.

Psychische Auffälligkeiten zeigten sich bereits in der Jugend – mit 16 Jahren war sie als Kindermädchen in Paris gewesen. Wegen Verrücktheit musste sie dort allerdings wieder zurück gehen. In ihrem 18. Lebensjahr, 1913, unternahm sie einen Suizidversuch. Elise Münz übergoss sich mit Spiritus und zündete sich selbst an. So ist sie dann aus dem Fenster gesprungen und hatte sich beide Beine gebrochen. (Behandelt wurde sie dann im Cannstatter Krankenhaus). Aufgrund der Verbrennungen hatte sie dann von der linken Halsseite bis zur Achsel eine große Narbe, ebenso war ihre Brust großflächig vernarbt. Ihre Füße wurden später in Weinsberg dann als verkrüppelt mit versteiften Fußgelenken beschrieben – auch dies war eine Folge des Suizidversuchs. Ihr Gang war deshalb auch entsprechend gestört. Von November 1914 bis September 1915 war Elise Münz, nach Einweisung durch das Bürgerhospitals, dann in der Heilanstalt Winnental. Diagnostiziert wurde bei Elise Münz chronische Paranoia, Schizophrenie und Melancholie. Von dort wurde sie mit gebesserter Gesundheit entlassen und kam zurück nach Ludwigsburg. Von 1928 – 1929 war sie 1 ½ Jahre als Verwaltungsangestellte beim Orient-Okzident Verlag angestellt. Zumeist war sie wohl aber ohne Anstellung.

Zwei Jahre später wurde in Ludwigsburg von einem Dr. Joel am 11.11.1931 eine Paranoia diagnostiziert und es erfolgte auf seine Veranlassung eine Aufnahme in die Heilanstalt Weinsberg zum 19.11.1931.

Elise Münz hatte Wahnvorstellungen und glaubte sie sei die Prinzessin von Württemberg. Als diese hätte sie Arbeiten geschrieben zur Lösung der wirtschaftlichen Not. Zudem würde sie wegen ihrer großen Leistungen und ihrer aristokratischen Abstammung verfolgt werden. Mit modernen Apparaten würde man alles von ihr abhören. Sie litt also auch unter einem Verfolgungswahn. Zudem kündigte sie das Ausscheiden aus dem Leben an, wenn man ihre Leistungen nicht anerkennen würde. Deshalb wurde als besonders wichtig bei der Aufnahme eine Suizidgefahr vermerkt.

Von nun an lebte Elsie bis zu ihrer Ermordung etwas mehr als acht Jahre in Weinsberg. Unter Psychosen litt sie in dieser Zeit immer wieder phasenweise. Insgesamt hatte sie aber auch sehr viele gute Zeiten in Weinsberg, in denen sie sich wohl fühlte und es ihr gut ging.

Auffallend ist, dass Elise Münz als sehr wortgewandt beschrieben wurde und sich sehr gut ausdrücken konnte. Sie wurde aufgrund ihrer geringen Körpergröße von 1,42 m als winzige Person mit großem Mundwerk wahrgenommen. Ihre Wahnvorstellungen hatten für die behandelnden Ärzte auffallend gute Zusammenhänge und wurden lt. Weinsberger Patientenakte wohlformuliert von ihr vorgetragen. Auch in ihrer Wahn-Welt wirkte sie auf ihre Umgebung geordnet und selbstbewusst.

Als Patientin in Weinsberg war sie oft freundlich zu ihren Mitmenschen. Ihre aristokratische Wahnvorstellungen hatte sie immer wieder – so hatte sie z.B. auch mal die Annahme, dass ihr als Gräfin von Münsingen wichtige Briefe vorenthalten würden. Arbeiten in Weinsberg führte sie oftmals aus, obwohl sie sich als Gräfin oder Königin dazu eigentlich nicht verpflichtet fühlte.

Phasenweise hatte sie in Ihrem Wahn aber auch schlimme Angstzustände.

So wurde sie wegen Unverträglichkeit dann auch mal in Bettbewachung gehalten. Manchmal zog sie sich in ihrem Wahn auch von selbst zurück.

Während ihren viele gute Phasen in Weinsberg ohne Psychosen, nahm sie aktiv am dortigen Leben teil. Dann beteiligte Elise Münz sich auch gerne am kulturellen Leben und nahm im Festsaal an Veranstaltungen mit Kuchen und Tanz oder Märchenvorstellungen teil. Sie bekam auch Verwandtschaftsbesuch von der Stiefmutter und einer Base (vielleicht wurde in der Patientenakte mit Base aber auch eine Halbschwester gemeint – vielleicht waren die Verwandtschaftsverhältnisse dem dortigen Personal nicht so klar).

Vor allem wurde in Weinsberg, über all die Jahre auffallend häufig, sehr positiv ihre Arbeitsleistungen beschrieben. So half sie beim Gemüseputzen, aber vor allem arbeitete sie sehr gut und sehr gerne in der Nähstube und beim Stricken. Offensichtlich war sie sehr geschickt bei Handarbeiten. Sehr fleißig zeigte sie sich beim Wäsche ausbessern. Über ihre ganze Zeit in Weinsberg, auch bis zu den letzten Einträgen in ihrer Patientenakte zum Jahreswechsel 1940, wird immer wieder ihre tägliche fleißige Arbeit beim Flicken, Löcher stopfen oder anderen Handarbeiten beschrieben.

Der letzte Eintrag erfolgte am 25. Januar 1940: „Keine Änderung. Verlegt in eine andere Anstalt“. Vermutlich wusste damals in Weinsberg noch niemand, dass Elise Münz in Grafeneck noch am selben Tag in einen qualvollen Tod durch Ersticken im Gas geschickt wurde. Die Vernichtung des so genannten unwerten Lebens hatte soeben erst begonnen – Elise Münz gehörte damit zu den ersten von über 10 000 Mordopfern in Grafeneck. Sie wurde nur 54 Jahre alt. Um die Massenermordungen in Grafeneck zu verschleiern, wurde dort auch das Todesdatum vertuscht. Bei Elise Münz wurde es auf den 11. Februar 1940 gefälscht.