Dr. Walter Pintus

Keine Hilfe für den beliebten Arzt

Mathildenstraße 6

In der Mathildenstraße 6 in Ludwigsburg lebte und wirkte bis 1938 Dr. med. Walter Pintus. Er war über Jahrzehnte ein angesehener Bürger der Stadt und für viele Patienten ein sorgender, hilfreicher und beliebter Arzt.

Er wurde am 27. September 1880 in Berlin geboren. Die Eltern, Emil Pintus, Bankier in Berlin und Marie, geb. Blumgard, ermöglichten ihm das Medizinstudium, das er 1904 mit der Promotion zum Doktor der Medizin in Straßburg abschloss.

1905 übernahm er in Ludwigsburg die Praxis des bereits früh verstorbenen Dr. Jakob Plaut in der Mathildenstraße 6, die er als praktischer Arzt und Geburtshelfer weiterführte.

1906 heiratete er die drei Jahre jüngere Helene geb. Jacobi, Tochter eines Stuttgarter Likör-Fabrikanten. 1907 wurde Tochter Lotte geboren, die 1931 anlässlich ihrer Verheiratung mit dem Juristen Dr. Hugo Weiß zur evangelischen Kirche übertrat.

Dr. Pintus war ein sehr gefragter Hausarzt mit einer sehr ausgedehnten Praxis, deren Anwachsen dann zeitweilig sogar die Anstellung eines Assistenzarztes erforderte. Seine Tätigkeit erstreckte sich bis in die weitere Umgebung von Ludwigsburg.

Zu den Hausbesuchen wurde wohl anfangs mit Pferd und Wagen, im Winter auch mit dem Pferdeschlitten gefahren. Später wird von eigenem PKW mit ständiger Beschäftigung eines Fahrers berichtet.

Im Hinterhaus, das inzwischen neu errichtet wurde und heute als medizinischer Behandlungsraum dient, befand sich, wie mir berichtet wurde, entsprechend die Stallung beziehungsweise später die Garage und die Wohnung für den Fahrer.

Im Erdgeschoss des Vorderhauses befand sich die Praxis, darüber die Wohnung. Zum Besitz gehörte außerdem ein großes Gartengrundstück.

Dr. Pintus war geschätzt für sein großes Verständnis für Jung und Alt. Auch um die sozialen Nöte seiner Patienten habe er sich sehr gekümmert und oft spontane Hilfsbereitschaft in Notsituationen bewiesen, weit über seine ärztlichen Verpflichtungen hinaus. Er zeigte unermüdlichen Einsatz auch trotz einer gewissen körperlichen Behinderung beim Gehen. Zeitzeugen konnten anlässlich der Stolperstein-Verlegung hierzu noch aus eigener Anschauung berichten.

Joachim Hahn hat in seinem Buch «Jüdisches Leben in Ludwigsburg» ausführlich dazu berichtet. Außerdem ergibt ein sehr eindrucksvoller Bericht über die Freundschaft zwischen den Familien Dr. Pintus und Dr. Adolf Richter durch dessen Sohn Gerhard für Dr. Pintus das Bild eines humanistisch gesinnten, weltoffenen, gebildeten und natürlich politisch schon früh weitsichtigen Mannes.

Allerdings hatte der Arzt wohl lange geglaubt, dass ihm als Teilnehmer im Ersten Weltkrieg nichts passieren könnte von Seiten der «Nazis» – er war ja in Ludwigsburg Leiter des Kriegsgefangenenlazaretts im Offiziersrang gewesen.

Ab 1. Januar 1938 wurde im Zuge der zunehmenden Repressalien gegen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger jedoch seine kassenärztliche Tätigkeit bereits deutlich eingeschränkt, am 1. Oktober 1938 wurde er aus dem kassenärztlichen Register gestrichen, die Approbation als Arzt wurde gelöscht.

Schon zuvor gab es seit 1933 die Aufforderungen zum Boykott der Praxis des jüdischen Arztes und öffentliche Verunglimpfung und Verhöhnung seiner Patienten – so 1936 in der NS-Lokalzeitung.

Nach der Reichs-Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 (in Ludwigsburg wurde der eigentliche Aufruf zum «spontanen Volkszorn» verschlafen und erst ab dem Vormittag des 10. November umgesetzt) wurde die Praxis zwangsweise aufgelöst und Dr. Pintus mit zahlreichen weiteren jüdischen Bürgern aus Ludwigsburg verhaftet. Mit anderen wurde Dr. Pintus ins KZ Dachau gebracht. Über die Ursache seines Todes am 13. November 1938 gibt es wohl keine Sicherheit, als möglich ist anzusehen ein Selbstmord mit dem wohl seit längerem hierfür stets vorhandenen Giftvorrat, worüber mir auch noch Zeitzeugen Bericht geben konnten.

Seiner Ehefrau Helene Pintus und auch der Tochter Lotte und deren Ehemann mit ihrer 1936 in Stuttgart geborenen Tochter Margrit Brigitte gelang noch 1941 die Auswanderung nach Argentinien. Frau Helene Pintus starb dann dort in Buenos Aires im Jahre 1979 mit 96 Jahren. Ihre Tochter Lotte lebte zuletzt in Zürich und starb, neun Jahre nach ihrem Mann, dort im Jahre 1998 im Alter von 90 Jahren.

Dr. med. Friedhelm Buschbeck

Wer veranlasste, dass Walter Pintus nach Dachau deportiert wurde?

Wir dokumentieren im Fogenden die Aussage des Arztes Dr. Ludwig Elsas, Sohn des Fabrikanten Max Elsas, zu Protokoll gegeben am 30. November 1946.
Das Dokument befindet sich in der Spruchkammerakte von Ferdinand Ostertag, einem Kopf der NSDAP in Ludwigsburg. Er hatte 1933 einen der Führungsposten bei der Bausparkasse GdF Wüstenrot bekommen und war als starker Mann seiner Partei Stellvertreter von Bürgermeister Karl Frank im Rathaus. Für seine Beteiligung an der Brandstiftung der Ludwigsburger Synagoge wurde er nach dem Ende des Faschismus rechtskräftig verurteilt.
Ostertag war zu Beginn der 1930er-Jahre Ortsgruppenleiter der NSDAP gewesen; in vielen Zitaten aus späterer Zeit wird er von unterschiedlichsten Leuten noch als Ortsgruppenleiter bezeichnet.
Da ein begleitender Polizist aussagte, Ostertag habe bei diesem Anlass, anders als von Elsas angegeben, nichts gesagt, wurde Elsas‘ Aussage nicht weiter berücksichtigt.
Jochen Faber Quelle: JS/72/1853 in der Akte des Staatsarchivs Ludwigsburg, EL 903/1 Bü 513
«Ich selbst wurde erst am Samstag, den 11. 11. [1938] nachmittags von dem Kriminalbeamten Götz dorthin eingeliefert [gemeint ist das «Blockhaus» genannte frühere Amtsgefängnis in der Schorndorfer Straße 58, seit 1966 Sitz der «Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen»].
Am Abend des Tages wurden wir in das frühere Polizeigefängnis Stuttgart von der SS abgeführt (…) Vor diesem Abtransport wurden wir mit den Gesichtern zur Wand im Blockhaus hingestellt, wobei die SS mit gezogenen Revolvern hinter uns stand. Plötzlich ging die Türe auf, die Bewachungsmannschaft rief Heil Hitler.
Unter diesen Begrüßungsrufen konnten wir annehmen, dass Ortsgruppenleiter Ostertag den Raum betreten hatten. Er kam dann an mir vorbei und ich erkannte ihn, da er 1933 mich meiner Stellung als Vertrauensarzt der Angestelltenversicherung enthoben hatte.
Plötzlich rief er ‹Ah, da steht ja auch der Pintus, den nehmt allein, den lege ich euch besonders ans Herz!› Der Kommandoführer machte eine Notiz und wir wurden abgeführt.
Während die Ludwigsburger Juden in das Konzentrationslager Welzheim gebracht wurden, kam Dr. Pintus durch diesen Einzelbefehl in das Konzentrationslager nach Dachau und wurde dort zum Selbstmord gezwungen.
Den Vorgang kenne ich aus späteren Äußerungen des jüdischen Religionslehrers Metzger von Ludwigsburg, welcher vom Konzentrationslager Welzheim später nach Dachau überführt wurde. Herr Dr. Pintus litt an einem Hüftschaden und hinkte Zeit seines Lebens. Die SS in Dachau hat mit ihm gleich nach seiner Ankunft das Kommando ‹Aufstehen, Hinliegen› geübt, worauf Dr. Pintus es vorzog, (…) freiwillig aus dem Leben zu gehen. (…).
[ Ich bin überzeugt, ] dass Dr. Pintus ohne den Einzelbefehl des Ortsgruppenleiters Ostertag mit uns in das Konzentrationslager Welzheim gekommen wäre, aus dem damals alle Ludwigsburger Juden lebend zurückkamen.»

Fotomontage oben: Gebäude Mathildenstraße 6 im Jahr 2004; Portrait Dr. Walter Pintus (Stadtarchiv Ludwigsburg)