Fanny und Salomon Kusiel

Pferdehändler gehörten zu Ludwigsburg

Seestraße 49


Im März 2011 haben wir für Fanny und Salomon Kusiel Stolpersteine vor dem Haus Seestraße 49 verlegt – mit gravierenden Fehlern auf dem Stein für Salomon Kusiel: Die damaligen Rechercheur/innen hatten sich auf sehr seriöse Quellen gestützt, in die allerdings in den 1960er-Jahren eine Falschinformation geraten war: Salomon Kusiel sei „1943 im KZ Schribroek ermordet“ worden. Wenigstens das falsche Todesdatum taucht in späteren Arbeiten richtig auf: Salomon Kusiel starb 1940.

Nicht einmal die Schreibweise des Ortsnamens war in den alten Angaben korrekt. In den Unterlagen des Staatsarchivs Ludwigsburg wurde stets das Schreiben von Siegfried Kusiel (geboren 1901) übersehen, dem Sohn der Kusiels, der bereits in den frühen 1930er-Jahren nach Holland ausgewandert war: „Mein Vater hat bei mir gewohnt, damals Adrianalaan 11, Schiebroek/Rotterdam. Gestorben am 20. 6. 1940 an obenstehender Adresse.“ Als Todesursache gab der Sohn in anderen Unterlagen „Krankheit / Herzleiden“ an.
In Schiebroek hat es nie ein Konzentrationslager gegeben. Neben dem Stolperstein für seine in Sobibor ermordete Frau Fanny erinnert seit April 2013 ein neuer Stein mit korrigiertem Text an Salomon, der im Exil starb.

Als Pferde noch der Motor der Zeit waren

In einer Stadt wie Ludwigsburg, in der Militär nicht nur das gesellschaftliche, sondern auch das wirtschaftliche Leben wesentlich mitprägte, waren Pferdehändler wichtige Leute, als motorisierte Wagen noch nicht den Verkehr beherrschten. Zu ihnen gehörte Salomon Kusiel; er handelte mit kräftigen belgischen und französischen Arbeitszieren „sowie eleganten Wagenpferden“, wie eine Zeitungsanzeige verkündete.

Salomon Kusiel wurde als Sohn von Simon und Jette Kusiel 1866 in Hochberg am Neckar geboren. Er führte die Familientradition des Pferdehandels fort und war ab 1905 auch Inhaber einer Textilwaren-, Pferde- und Futtermittelhandlung in Ludwigsburg. Von 1928 bis 1933 wohnte er mit seiner Familie in der Seestraße 49, von 1934 an in der damaligen Schlageterstraße 13 (vor und nach der Zeit des NS-Regimes Bahnhofstraße) in Ludwigsburg. Das Haus in der Seestraße ist nach wie vor durch einen Pferdekopf aus Blech an der Fassade gut zu erkennen (wenn er nicht gerade repariert werden muss); im Hinterhof ist noch zu sehen, wo die Stallungen waren.

Am 1. Oktober 1933 musste Salomon Kusiel seine Handlung aufgeben. Im Rahmen sehr langwieriger und zermürbender Schriftwechsel über möglichen finanziellen Ausgleich für den Schaden, der der Familie Kusiel durch das NS-Regime entstanden war, schrieb Siegfried Kusiel 1956: „Mein Vater, Salomon Kusiel, hat einen Pferdehandel in Ludwigsburg bei Stuttgart betrieben, hat seit dem Hitlerregime nichts mehr verdienen können. Da die Juden verfolgt wurden und ich in Holland wohnte, habe ich meine Eltern nach Rotterdam kommen lassen und haben sie bei mir, damals Adrianalaan 11, Rotterdam N., gewohnt.
Sie gingen mit gerade zehn Reichsmark über die Grenze, haben alles hinterlassen müssen und haben Silbersachen, Zinn und andere Wertgegenstände einliefern müssen. Ob ein Banksaldo oder Lebensversicherung damals bei Auswanderung anwesend war, ist mir nicht bekannt.Auch die Möbel haben sie hinterlassen müssen.“

Durch den Hinweis von Wim van Stiphout aus Schiebroek erfuhren wir, dass auf dem Friedhof Schiebroeker Friedhof noch immer der Grabstein für Salomon Kusiel zu sehen ist – ein weiterer Beleg dafür, dass er nicht direkt durch NS-Terror starb.

Eine kluge und gebildete Frau

Fanny Gutmann wurde am 5. Januar 1869 in Ichenhausen geboren und heiratete später Salomon Kusiel. Sie hatten die drei Kinder Alice, Peppi und Siegfried. Nach ihrer gemeinsamen Auswanderung nach Rotterdam 1939 lebte sie zunächst mit ihrem Mann zusammen bei Sohn Siegfried.
Der schrieb 1959: „ Meine Mutter hat, als sie den Judenstern tragen musste, zuerst bei mir, damals Adrianalaan 11 Schiebroek/Rotterdam gewohnt, musste im September 1940 musste im September 1940 die Küststrecke (wozu nach den damalige Maßnahmen auch Schiebroek gerechnet wurde) verlassen. Ich habe sie darum in Edam untergebracht, von wo aus sie deportiert wurde.“
Ungefähr im April 1943 aus Edam deportiert. Nach Angaben des Standesamtes in Edam in Sobibor in Polen am 14. Mai 1943 „gestorben“ – sprich: ermordet.

Das Niederländische Rote Kreuz bestätigte 1960, dass: „Fanny Kusiel […] aus rassischen Gründen (wegen jüdischer Abstammung) am 23. April 1943 im K.L. Vught (Holland) inhaftiert, von dort am 9. Mai 1943 ins K.L. Westerbork Holland eingeliefert und am 11. Mai 1943 von K.L. Westerbork nach K.L. Sobibor deportiert wurde.“

Im Formular des Roten Kreuzes steht weiter: „Obengenannte Person gilt als gestorben am 14. Mai 1943 in Sobibor.“ Ein roter Stempel, der augenscheinlich häufig benötigt wurde, erklärt in bester Bürokratiesprache Näheres „mit dem Vermerk, dass die Feststellung des Todesdatums nicht auf Aussagen von Augenzeugen oder Lagerkommandanten stützt, sondern auf Schlussfolgerungen allgemeiner Art, wozu die Studierung des Schicksals des betreffenden Judentransports beim hiesigen Büro Veranlassung gegeben hat“.

Die beiden Töchter Alice (geboren 1893) und Peppi (Geboren 1899) wanderten in die Vereinigten Staaten von Amerika aus. Als Alice bereits Enkelkinder hatte, schrieb sie für diese Erinnerungen aus ihrer Kinderzeit auf. Damals wohnte die Familie Kusiel noch nicht in Ludwigsburg (nur die Arbeit brachte den Vater täglich in die vergleichsweise große Stadt), sondern in Hochberg am Neckar. Aus diesen Aufzeichnungen erfahren wir vieles über die Eltern und das leben einer jüdischen Familie um die Jahrhundertwende:

„Ich weiß nicht mehr, wann genau ich zu sprechen anfing. Ich erinnere mich aber sehr gut, dass meine Mutter mir Geschichten und kleine Gedichte vorlas; letztere konnte ich zum Erstaunen aller Erwachsener bald rezitieren. Gleichzeitig brachte sie mir bei, Französisch zu verstehen und zu sprechen. Meine Mutter war eine wundervolle, kluge und bestens erzogene Frau, die als Jugendliche für fünf Jahre bei einer Tante in Paris gewohnt hatte, dort zur Schule gegangen war und natürlich fließend Französisch sprach.

Mein Vater hatte sein Geschäft in Ludwigsburg – von Hochberg aus konnte man dorthin nur mit Pferd und Kutsche kommen. Er importierte eine spezielle Rasse schwerer belgischer Pferde aus Belgien. In diesen Tagen, als an Lastkraftwagen noch nicht einmal gedacht war, wurden diese Pferde an Brauereien, Umzugsunternehmen, Bauhandwerker – kurz, an alle Berufsgruppen verkauft, die schwere Güter zu transportieren hatten.

Wenn Papa am Abend nach Hause kam, gab es Abendessen und danach spielte er mit mir, während Mutter das Geschirr abwusch. […] Am allerbesten erinnere ich mich bei diesen häuslichen Vergnügungen daran, dass wir mit Freuden zusammen sangen. Vokslieder, verrückte Lieder und sogar patriotische Lieder. Das muss für mich ein besonderes Vergnügen gewesen sein.

Wir lebten in einer Wohnung im Dachgeschoss des Rathauses, das war ein dreistöckiges Gebäude mit der Feuerwache im Erdgeschoss. Die bestand aus einem Löschwagen und Pferden – natürlich wurde der Wagen von Pferden gezogen und alle Feuerwehrleute waren Freiwillige. Papa war einer von ihnen.

Unsere Wohnung im zweiten Stock bestand aus einem großen Wohnzimmer, einem größeren und einem kleineren Schlafzimmer und einer Toilette. Ein Badezimmer oder auch nur fließendes Wasser hatten wir nicht. Wenn wir ein Bad nehmen wollten, wurde Wasser auf dem Herd heiß gemacht und in einen hölzernen Zuber gekippt. Jeder Raum hatte einen eisernen Ofen und es war eine regelrechte Schinderei, das Holz und die Kohlen zum Heizen den ganzen Winter lang jeden Tag heraufzuschleppen, um die Wohnung warm zu halten.“
Rahel Boell, Stolperstein-AG des Goethe-Gymnasiums Ludwigsburg
Jochen Faber

Portraitbilder Fanny und Salomon Kusiel: Stadtarchiv Ludwigsburg
Aufnahme des Grabsteins von Salomon Kusiel: Wim van Stiphout

Quelle für dem Schriftwechsel zur „Wiedergutmachung“: Staatsarchiv Ludwigsburg, EL 350 I Bü 37652
Quelle für die Aufzeichnungen von Alice Ottenheimer, geb. Kusiel: Center for Jewish History, New York, http://www.cjh.org