Anton Reinhardt

Ein unbescholtener Bürger unserer Stadt

Leonberger Straße 32

Der Stolperstein, der vor dem Gebäude in der Leonberger Str. 32 am 27. September 2008 verlegt wurde, erinnert an das kurze Leben und den Tod des Sinto Anton Reinhardt.

Anton Reinhardt wurde 1921 in Sulzbach im damaligen Kreis Backnang geboren. Seine Mutter Franziska heiratete bald nach Antons Geburt den in Augsburg lebenden Sinto Jakob Lehmann mit dem sie elf weitere Kinder hatte. In dieser Familie in Augsburg lebte Anton bis 1940, als er von seinen Angehörigen über Nacht getrennt wurde.

Die Eltern und die elf Geschwister wurden Ende April 1940 verhaftet und zusammen mit Hunderten gleichzeitig verhafteter Sinti auf den Hohen Asperg verschleppt, wo sie jedoch nur kurze Zeit blieben. Bereits am 22. Mai 1940 marschierten um die 500 Sinti durch die König- und Bahnhofstraße zum Asperger Bahnhof, von wo sie nach Polen zur Zwangsarbeit transportiert wurden. Die Ludwigsburger Kreiszeitung (LKZ) berichtete über diesen Vorgang am 27. Januar 2007 ausführlich einschließlich eines dokumentarischen Fotos, das den Zug der Verhafteten zum Bahnhof und zuschauende Asperger Bürger zeigt. Zu den wohl wenigen, die von den Deportierten überlebten, gehört die Mutter Anton Reinhardts. Aus den Akten ihres Wiedergutmachungsprozesses haben wir die Kenntnis über das Schicksal ihres Sohnes Anton.

Anton Reinhardt verdankt die Tatsache, dass er 1940 nicht auch über den Hohenasperg mit nach Polen deportiert wurde wohl dem Umstand, dass er als einziges Mitglied der Großfamilie Lehmann den Geburtsnamen seiner Mutter (Reinhardt) trug. Dies haben die verhaftenden Gestapo-Leute ganz offensichtlich nicht erkannt. Das änderte aber nichts daran, dass auch er letzten Endes den braunen Häschern nicht entgehen konnte.

Einen Monat nach der Verhaftung seiner Familie verschlug es Anton – sein Beruf wird als Musiker/Fabrikarbeiter angegeben – in die Ludwigsburger Gegend, wo er mit seinen Großeltern mütterlicherseits (Ferdinand Reinhardt («Balzer»), Arbeiter, geboren am 26. Oktober 1878, und Ehefrau Katharina Reinhardt, geb. Reinhardt, geb. 25. Februar 1883) zusammentraf.

Laut Einwohnermeldekartei wohnten sowohl er (Hanseli) als auch seine Großeltern «von Winzerhausen kommend» in Ludwigsburg vom 26. Juni 1940 bis 29. März bzw. bis 1. April 1941 in der Leonberger Straße 32. In der Einwohnermeldekartei von Winzerhausen bei Großbottwar, Kreis Ludwigsburg waren vorher jedoch weder Anton Reinhardt noch seine Großeltern gemeldet. Möglicherweise haben sich Enkel und Großeltern in Winzerhausen lediglich getroffen und dort nur kurz aufgehalten, ehe sie nach Ludwigsburg weiterzogen, so dass eine polizeiliche Meldung entbehrlich war.

Anton war dann noch kurz vom 18. April 1941 bis 1. Juni 1941 unter der Adresse Ludwigsburg, Bietigheimer Straße 17 bei K. Morcher gemeldet, während die Großeltern ab dem 29. März 1941 unter der Anschrift Siegesstraße 19, Hinterhaus, ausgewiesen werden. Es handelt sich dabei um die Anschrift der ehemaligen Ziegelwerke Ludwigsburg AG.

Ab 21. Juni 1941 lautet auch die Anschrift von Anton Reinhardt Siegesstraße 19, Hinterhaus, Ziegelwerke AG. Sowohl Anton als auch sein Großvater Ferdinand werden im Ludwigsburger Einwohnermeldebuch von 1943 unter dieser Adresse als «Arbeiter» genannt. Es muss davon ausgegangen werden, dass sie dort neben weiteren Trägern des Namens Reinhardt als Zwangsarbeiter tätig waren.

Anton Reinhardt war als Ziegeleiarbeiter bis zum 15. März 1943 in der Siegesstraße 19, Hinterhaus, gemeldet. Die Einwohnermeldekartei enthält unter «neuer Wohnort» den lakonischen Vermerk «Konzentrationslager Auschwitz». Durch jahrelange Forschungsarbeit wurde nachgewiesen, dass am 15. März 1943 von den Gleisen des Stuttgarter Nordbahnhofs, die heute zur Gedenkstätte «Zeichen der Erinnerung» geworden sind, 234 Sinti und Roma, zusammengepfercht in Viehwaggons, nach Auschwitz-Birkenau in den neuen Lagerabschnitt B II e deportiert wurden, der Zigeunerlager genannt wurde. Nur 27 von ihnen überlebten.

Einer der 234 Sinti war Anton Reinhardt, der am 15. März 1943 mit diesem Zug nach Einbruch der Dunkelheit den Nordbahnhof verließ. Am 17. März endete die Fahrt an der berüchtigten Rampe in Auschwitz-Birkenau. Das historische Ereignis der Märzdeportation ist in den Sinti- und Roma-Familien unvergessen. Am 15. März 2008, also 65 Jahre nach der Deportation, fand an der Gedenkstätte im Nordbahnhof eine beeindruckende Gedenkfeier unter großer Anteilnahme der Bevölkerung statt.

Die erwähnten Gleise des Nordbahnhofs waren im übrigen auch Ausgangspunkt der Deportationen jüdischer und anderer Mitbürger, die Opfer der Nazidiktatur wurden. Zu ihrer Erinnerung sind dort in einer langen Wand ihre Namen eingetragen, wo auch der von Anton Reinhardt zu finden ist.

Sein Tod ist in der erwähnten Einwohnermeldekartei der Stadt Ludwigsburg wie folgt vermerkt: «verst. 27. 12. 43 in Auschwitz, Kasernenstraße (Mitt. v. 8. 4. Jahreszahl unleserlich)».

Im Evidenzbuch des Männerlagers Auschwitz-Birkenau (Quelle A) sind folgende Angaben zu finden: Reinhardt, Anton, geb. 1921-06-02 (Sulzbach), Lagernummer Z-4157, Kategorie Z.D.R. Bemerkungen: AU. (1943-04-12); gest. 1943-00-00).

Diese Angaben werden auch durch die eidestattlichen Versicherung des Josef Reinhardt (nicht verwandt mit Anton) vom 3. April (1961?) bestätigt, wonach Anton Reinhardt vor seiner Haft in Auschwitz im Ziegelwerk Ludwigsburg gearbeitet hat und dort mit seinen Großeltern Reinhardt in einer Steinbaracke, die zum Ziegelwerk gehörte, lebte.

Weiter führt Josef Reinhardt aus, dass er Anton seit seiner Kindheit kannte, mit Anton nach Auschwitz deportiert wurde und mit ihm in den ersten sechs Wochen nach der Deportation im Zigeunerlager und nach Verlegung im Hauptlager zusammen war. Vermutlich Ende 1943 sei Anton in das Krankenrevier verlegt worden, von dem er nicht zurückkam. Er selbst (Josef Reinhardt) sei am 14. April 1944 in das KZ Buchenwald verlegt worden.

Anton Reinhardts Tod mit amtlicher Todeserklärung vom 28. September 1961 wurde, weil dem Standesamt die erwähnte Angabe in der Einwohnermeldekartei offensichtlich nicht bekannt war, wie üblich zum 31. Dezember 1945 festgestellt. Das in der Ludwigsburger Einwohnermeldekartei genannte, auf einer Angabe des KZ Auschwitz beruhende Datum «27. 12. 1943», erscheint jedoch auch nach der von Josef Reinhardt abgegebenen eidesstattlichen Erklärung als verbindlich.

Der Journalist Christian Walf hat in der Ludwigsburger Kreiszeitung, Ausgabe vom 13. September 2008, einfühlsam über den Tod Anton Reinhardts gefragt: «Was waren wohl seine letzten Gedanken? Hatte er Angst? Hat er an seine Mutter gedacht? Seine Familie? Sein kurzes Leben? Und wie ist er gestorben? War er krank? Wurde er totgespritzt? Vergast?» Wir wissen es nicht.

Aber wir wissen, dass Anton Reinhardt ein Mensch ohne jede Schuld war. Er musste sterben, weil das verbrecherische, menschenverachtende Naziregime in seinem Rassenwahn ihn als nicht lebenswürdig ansah.

Gottfried Pampel
Fotomontage oben: Gebäude Leonberger Straße 32 im Jahr 2008. Ein Foto von Anton Reinhardt ist bisher nicht bekannt.