Siegmund und Fanny Meyer

Züge in das Leben, Züge in den Tod

Richard-Wagner-Straße 1

Siegmund Meyer heiratete am 30. April 1900 Fanny, geborene Löwenthal, in Ludwigsburg. Siegmund Meyer war Viehhändler wie sein Vater Abraham Meyer aus Bibra (Thüringen) und sein Schwiegervater Albert Löwenthal aus Talheim bei Heilbronn. Geboren wurde Siegmund Meyer am 23. März 1869 in Bibra, Fanny am 5. November 1877 in Talheim.

Viehhändler war aus historischer Sicht kein seltener Beruf unter der jüdischen Bevölkerung. Fast alle Juden in Deutschland durften bis zur Emanzipation (Gleichstellung mit den Christen, 1797 – 1918 ) kein Land besitzen. Zudem waren ihnen lange Zeit handwerkliche Berufe verwehrt, wodurch den Juden nur der Handel blieb, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So wurde der Viehhandel regelrecht zum jüdischen Monopol. Die Handelstätigkeit hat wichtige Funktionen im ländlichen Bereich erfüllt. Sowohl für die christlichen Bauern, die Viehhändler und die Abnehmer des Viehs. Noch im Jahre 1917 waren von 40.000 Viehhändlern in Deutschland 25.000 Juden.

Familie Meyer wohnte zuerst in der Eberhardstraße 27, wo es im Hinterhof Stallungen für das Vieh gab, und dann in der Richard-Wagner-Straße 1. Hier war im II. Stock bis Anfang 1939 der letzte frei gewählte Wohnort. Bereits ab 17. Februar 1937 wurden jüdische Viehhändler von Viehmärkten ausgeschlossen. Siegmund Meyer war beim ersten erzwungenen Umzug in die Seestraße 75 von Mai bis November 1939 bereits 70 Jahre, seine Frau Fanny 61 Jahre alt.

Vom 30. April 1939 an wird der Mietschutz von Juden gelockert und es werden vorzeitige Kündigungen erlaubt. An Juden vermietete Wohnungen müssen gemeldet werden. Ab 8. August 1939 müssen sämtliche Juden, die in Häusern von arischen Besitzern wohnen, zum 1. Dezember 1939 eine Wohnung in jüdischem Hausbesitz suchen. Dies war nicht nur ein weiterer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, sondern ermöglichte auch den einfachen Zugriff der Gestapo auf die Juden.

Die Seestraße 75, heute Hohenzollernstr. 3, diente nach dem organisierten Brand der Ludwigsburger Synagoge in der Reichs-Pogromnacht als jüdisches Gemeindehaus. Ab jetzt beginnen für Meyers diverse Zwangsumzüge: zur Tochter Rita nach Heilbronn vom November 1939 bis Januar 1940, anschließend von Januar 1940 bis Dezember 1941 wieder nach Ludwigsburg in die Seestraße 75.

Weitere folgen: nach Stuttgart am 16. Dezember 1941, nach Baisingen am 22. Dezember 1941, dann nach Dellmensingen 1942 und am Ende nach Theresienstadt. Ziel aller Umzüge war: den Zusammenhalt der jüdischen Familien zu schwächen, der deutschen Bevölkerung etwas vorzuspielen, die Juden zu demütigen, von der deutschen Bevölkerung zu trennen und zu ghettoisieren.

Familien werden in Not gebracht

Am 22. August 1942 werden Fanny und Siegmund Meyer von Stuttgart mit dem Transport VIII/1 in das KZ Theresienstadt verschleppt. Dieses Konzentrationslager wurde bereits 1940 nach der Besetzung Böhmen und Mährens eingerichtet. Nach der sogenannten «Wannsee-Konferenz» 1942 wurden in das Lager auch alte oder als prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen besetzten Gebieten deportiert.

Die NS-Propaganda im Deutschen Reich verklärte Theresienstadt zum «Altersghetto». Es diente als Gestapogefängnis, Transitlager (etwa 88.000 Häftlinge wurden nach Auschwitz oder andere Todeslager gebracht) und Vernichtungslager (hier starben etwa 33.000 Gefangene).

In Theresienstadt ermordet
Siegmund Meyer ist am 2. Februar 1943 in Theresienstadt mit 73 Jahren umgekommen.

Fanny Meyer überlebte Theresienstadt. Mit dem einzigen Freiheitstransport aus dem KZ Theresienstadt am 5. Februar 1945 (Zugnummer EW 182 T) über Konstanz nach Kreuzlingen in der Schweiz. Nach unterschiedlichen Auffanglagern reist sie 1946 zuerst nach Argentinien, dann zum Sohn Arthur nach Uruguay aus. Sie stirbt am 24. Februar 1949 mit 72 Jahren.

Tochter Rita und Schwiegersohn Karl Kahn (letzter Kantor der Synagoge Heilbronn) werden ebenfalls am 22. August 1942 von Stuttgart nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz weitertransportiert. Beide werden am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet. Den gemeinsamen Sohn Hans Kahn (geboren am 11. Februar 1930 in Heilbronn) schicken sie am 4. Mai 1939 mit einem Kindertransport nach England und retten ihm so sein Leben.

Anmerkung des Verfassers: Meine Urgroßeltern Familie Mühlbach hatten in Marbach eine Weinstube und Bäckerei in der Marktstraße 15 und waren sowohl geschäftlich als auch privat mit den Meyers aus Ludwigsburg verbunden. Sie kauften ihr Schlachtvieh beim Viehhändler Meyer. Meine Mutter Emilie Kretschmann, geborene Klumpp, Jahrgang 1931, erzählte mir von regelmäßigen Spaziergängen mit ihren Großeltern Mühlbach über die Felder zwischen Marbach und Poppenweiler. Dort versteckte das Ehepaar Mühlbach jedes Mal Lebensmittel auf einem ihrer Felder – immer an der gleichen Stelle – für den «Jud Meyer» aus Ludwigsburg. Ende 1939 werden die Lebensmittel nicht mehr abgeholt.
Thorsten Klumpp

Foto oben: Richard-Wagner-Straße 2010. Bildmontage unter Verwendung von Portraits von Fanny und Siegmund Meyer aus dem Bestand des Stadtarchivs Ludwigsburg.
Foto unten: Stolpersteinverlegung April 2010