von Eleanor Williams, BBC News · 27. Januar 2013
Harry Grenville war schon immer überzeugt, dass seine Eltern und Großmutter 1944 in Auschwitz starben. Doch er hatte nie einen konkreten Hinweis darauf, dass sie den Tod in diesem Nazi-Vernichtungslager in Polen gefunden hatten – bis zur letzten Woche, als ihn aus heiterem Himmel eine Fotografie des Koffers erreichte, den sein Vater ins Konzentrationslager mitgenommen hatte.
Dieser Koffer mit dem deutlich zu erkennenden Namen Jacob Greilsamer kann auf einem Stapel im Auschwitz-Museum klar erkannt werden. Ein polnischer Fotograf hatte das Foto an Herrn Grenvilles Freunde in Deutschland geschickt. Die schickten es per E-Mail an Herrn Grenville (86), der viele Jahre lang in Dorchester in Dorset gelebt hatte.
Er war erst 13 Jahre alt, als er vor dem Holocaust floh, indem er zusammen mit seiner Schwester Hannah mit einem Kindertransport nach England gebracht wurde. Sie kamen im Juli 1939 an und wurden von einer Pflegefamilie in der Cornwall-Stadt Camelford aufgenommen – an diese Zeit erinnert er sich liebevoll, denn er wurde in die Familie integriert und auf das Gymnasium geschickt. „Wir waren glücklich“, sagt er. „Viele andere Kinder, die herkamen, wurden nicht so gut behandelt.“
Die Geschwister blieben über das Rote Kreuz in regelmäßigem Kontakt mir ihrer Familie, bis im Oktober 1944 eine letzte Nachricht kam, die besagte, ihre Eltern seien in den Osten geschickt worden.
Als der Krieg zu Ende ging, reiste Herr Grenville nach London, um die Liste der Überlebenden der Konzentrationslager zu prüfen. Die Namen seiner Eltern waren nicht dabei. Er wusste, dass sie den Krieg nicht überlebt hatten, doch bis zur vergangenen Woche hatte er keinerlei konkreten Hinweis, dass sie tatsächlich in Auschwitz ermordet worden waren.
Er sagt: „Aus heiterem Himmel kam eine Fotografie mit einer Menge Koffern von Opfern darauf, und die Koffer trugen die Namen der Opfer, die aufgemalt worden waren. Auf diesem bestimmten Foto, wer hätte das gedacht, war der Name meines Vaters.“ Der Name „Jacob Greilsamer“ ist klar erkennbar.
„Das war ein ziemlicher Schlag für mich – zum erstem Mal hatte ich einen verbindlichen Hinweis darauf, dass mein Vater, und demnach auch meine Mutter und meine Großmutter, tatsächlich in Auschwitz angekommen war. Wir wussten, dass sie 1942 in eine Art von Konzentrationslager geschickt worden waren, das war ein Ort namens Theresienstadt in der früheren Tschechoslowakei. Die letzte Nachricht vom Roten Kreuz stammte vom Oktober 1944 – es war ziemlich klar, was das zu bedeuten hatte. Sie besagte, dass meine Eltern nach Osten geschickt würden, und wir wussten, was ‚Osten’ bedeutete, denn allen Gefangenen von Theresienstadt war klar, dass damit die Vernichtungslager in Polen gemeint waren.
Sie wurden in diesen furchtbaren Viehwaggons transportiert, vom Internierungslager zu den Vernichtungslagern, wo die meisten von ihnen sehr bald nach der Ankunft getötet wurden. Wir hatten nur indirekte Belege dafür, dass sie angekommen waren, aber nun haben wir es mit einem Foto belegt – hier ist es, ‚Jacob Greilsame‘ auf diesem Koffer.“
An Herrn Greilsamer, seine Frau Klara und ihre Mutter Sara Ottenheimer erinnern nun Plaketten im Bürgersteig vor ihrem früheren Zuhause in Ludwigsburg bei Stuttgart, wo die Familie einen Großhandel für Verpackungsmaterial betrieb. Herr Grenville sagt: „Diese Klötze heißen Stolpersteiune, denn man soll im übertragenen Sinn darüber stolpern und sich an die Verbrechen der Nazis erinnern. Als diese Steine 2009 verlegt wurden, habe ich mit einigen Mitgliedern meiner Familie an der Zeremonie teilgenommen. Das war ein sehr bewegendes Ereignis, es gab eine Menge Zuschauer, auch der Oberbürgermeister war dabei. Es hat mich sehr bewegt zu sehen, dass die zweite und dritte Generation nach den Nazis sich so stark für Erinnerung und Aussöhnung einsetzt.“
Herr Grenville, geboren als Heinz Greilsamer, und seine Schwster, die nun in New York lebt, wurden wie etwa 10.000 zumeist jüdische Kinder durch die Kindertransport-Inititative während des Krieges aus Deutschland gerettet und ins Vereinigte Königreich gebracht. Nach dem Krieg blieb er in England, ging zur Britschen Armee und wurde in Cattistock in Dorset stationiert. Später wurde er Biologielehrer. Noch immer besucht er Schulen, um über den Holocaust zu sprechen. Er fügt hinzu: „Ich lege sehr großen Wert darauf, dass die Erinnerung an die jüngeren Generationen weitergegeben wird, kein Aufwand ist hierfür zu groß. Die jungen Leute müssen die Überlebenden treffen und ihnen zuhören.“