Hans Frischauer
Meta Frischauer
Robert Frischauer
Walter Frischauer
In keiner Heimat gab es Sicherheit
Asperger Straße 34
«In der Inflationszeit blühte sein Weizen, und bald konnte er sich als Lieferant von staatlichen Behörden eine pompöse Villa bauen.» Der hier in der nationalsozialistischen Hetzschrift ‹Flammenzeichen› angeprangert wird, ist Hans Frischauer, ein tschechischer Jude in Ludwigsburg. Sein Vater hatte 1905 das Asperger Zweigwerk der Chemischen Fabrik Weil & Eichert aus Ludwigsburg aufgekauft und die Leitung seinem Sohn Hans übergeben.
1920 heiratet Hans Frischauer mit 36 Jahren in Ludwigsburg die 25jährige Meta Weil, hier geborene Tochter des Fabrikdirektors der Firma Weil & Eichert. Ein Jahr später wird die Tochter Gertrud Karoline geboren – sie wird die Mädchenrealschule in Ludwigsburg besuchen und 1938/39 ein «Töchterinstitut» bei Sankt Gallen in der Schweiz.
Ende 1922 kommt Robert Leopold zur Welt. Er besucht in Ludwigsburg das Gymnasium und feiert im Dezember 1935 seine Bar-Mizwah. Nachdem ihm der Schulbesuch in Ludwigsburg wegen seiner jüdischen Religion unmöglich gemacht wird, wird auch er in der Schweiz unterrichtet.
1929 schließlich wird Walter Leopold geboren – wie seine Geschwister geht auch er in Ludwigsburg zur Schule, bis das Nazi-System ihm dies verwehrt. Bis zur Flucht nach Prag besucht er zuletzt die jüdische Schule in Stuttgart.
Hans Frischauer produziert ab 1933 Nitrozellulose-Lacke und ist damit auf der Höhe der chemisch-technischen Entwicklung seiner Zeit. Seine Kunden sind die Deutsche Reichsbahn, Landesunternehmen und kommunale Einrichtungen.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 beginnen sehr bald die Beschränkungen und Repressalien, speziell gegen jüdische Geschäftsleute und Bürger. Ein Beispiel ist die Kontingentierung von Leinöl, einem Grundstoff für Farben und Lacke, bei denen Frischauers Fabrik benachteiligt wird. In der NS-Hetzschrift ‹Flammenzeichen› ist 1937 zu lesen: « … er beliefert immer noch verschiedene Behörden und zählt auch noch einen großen Kreis von Handwerkern zu seiner Kundschaft. Wäre es nicht möglich, dass sich der Frischauer auf den Export nach Palästinahäfen umstellt?»
Im Mai 1938 wird bei der Firma Frischauer eine Betriebsprüfung durchgeführt. Begründung: Ungenehmigte Verkäufe von Materialien ins Ausland und Steuerhinterziehung. In der Folge wird eine Steuernachzahlung in Höhe von 130.000 Reichsmark eingefordert und mit einem Strafverfahren gedroht. Das veranlasst Hans Frischauer zu einer überstürzten Flucht nach Prag – denn noch hat er einen tschechischen Pass.
Das ist den Nationalsozialisten gerade recht. Nun können sie jeglichen Besitz von Frischauer einziehen. Dazu gehört die Asperger Firma mit verschiedenen Außenbüros und die Villa in der Asperger Straße 34 in Ludwigsburg. Aus der Wohnungsmeldekartei von Meta Frischauer ist ersichtlich, dass sie am 5. April 1939 das Haus der Familie verlassen muss. Sie zieht – vermutlich mit dem jüngsten Sohn Walter – zur Familie Hirschfeld in das Haus Asperger Straße 39.
Im Frühjahr 1939 hat Hans Frischauer in Prag so viel Geld zusammen, dass er seine Familie nachkommen lassen kann. Aber gerade dort laufen die Frischauers den Nationalsozialisten ganz bald wieder ins Netz, denn noch im März marschieren deutsche Truppen in Prag ein. Im September müssen die Frischauers in das Prager Juden-Ghetto umziehen. Dort verbringen sie zweieinhalb Jahre mehr schlecht als recht. Dann werden sie im April 1942 nach Theresienstadt deportiert. Schon sechs Tage später geht es weiter nach Izbica, einem Durchgangslager auf dem Weg in das Ermordungslager Belzec.
Als einzige der Familie überlebt die Tochter Gertrud den Holocaust, weil die Eltern sie rechtzeitig nach England schicken. Dort heiratet sie später und kommt in den 1990er-Jahren noch einmal mit einer Gruppe ehemaliger jüdischer Mitbürgerinnen und -bürger nach Ludwigsburg.
Heinz Weißgerber
Fotomontage oben: Gebäude Asperger Straße 34 im Jahr 2005, Portraits Familie Frischauer (Stadtarchiv Ludwigsburg)