Hans Walter

Hans Walter wurde als Kleinkind von Ärzten ermordet

Vorhofstraße 28

Hans Walter wurde am 06.02.1939 geboren. Seine Mutter war Martha Walter geborene Kurz, geboren am 17.12.1910 in Ludwigsburg-Ossweil. Der Vater von Hans ist Gottlob Walter, geboren am 16.05.1912. Er verstarb bereits vierzigjährig am 21.7.1952. Das Ehepaar hatte zudem noch eine Tochter, lebte in der Vorhofstraße 28 in Ludwigsburg-Ossweil und war evangelisch.

Bei Hans Walter wurde „Schwachsinn nach Gehirnblutung (Geburtstrauma)“ diagnostiziert. Die Entbindungsanstalt in Stuttgart protokollierte eine komplikationslose Geburt nach ca. 36 Stunden. Die Mutter berichtete, dass ihr von ärztlicher Seite erklärt wurde, dass drei Tage nach Hans’ Geburt eine Ader in seinem Gehirn gesprungen sei. Als Folge wurde dann Idiotie diagnostiziert. Hans Walter hatte eine frühkindliche Hirnschädigung.

Er war deshalb ab seinem dritten Lebenstag für fünf Wochen in der Kinderklinik Stuttgart. Die Eltern taten sich schwer mit einem schwerbehinderten Baby, dass viel schrie. Nach einem Jahr gaben sie Hans deshalb erneut in die Kinderklinik. Die Ärzte erklärten den Eltern, dass Hans’ Hirnschädigung mit geistiger Beeinträchtigung dauerhaft sei. Ebenso die wiederkehrenden epileptischen Anfälle und dass sie es aus der Klinik wieder entlassen müssten.

Hans war nun wieder zu Hause und die Mutter entsprechend ihren Aussagen immer wieder hilflos mit Hans Anfällen. Immer wieder brachte sie Hans nun in die Kinderheilanstalt in Ludwigsburg. Mit eineinhalb Jahren war Hans auch in der Werner´schen Kinderheilanstalt wegen Rachitis (Knochenerkrankung bei Kindern mit Fehlstellungen oder Verkrümmungen als Folge) und dann auch wegen einer Gehirnerschütterung. Der dort behandelnde Arzt Dr. Dieter erklärte ihr, dass sie damit rechnen müsse, dass Hans an einem seine Anfälle auch sterben könne. Offensichtlich hatte Hans Walter Grand-mal- / tonisch-klonische Anfälle. Die Symptome Schreien, gefolgt von krampfartiger Anspannung der Körpermuskulatur mit anschließenden Zuckungen, passen zu damaligen Diagnosen und den Schilderungen der Mutter.

Kliniken und Ärzte hatten die Vorgabe, Befundberichte von Kindern mit Behinderungen dem Reichsausschuss zu melden. Der Reichsausschuss mit dem tarnenden zusätzlichem Decknamen „zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ war in der „Kanzlei des Führers“ angesiedelt. Dieser Reichsausschuss war für die Organisation der Morde an Kindern mit Behinderungen zuständig.

Auch wenn es für vielerlei Mord und Unrecht im Nationalsozialismus Gesetze gab – für die Ermordung von Menschen mit Behinderungen gab es keine. Deren massenhafte Durchführung sollte heimlich geschehen. Nachdem Hans im November 1942 erneut in der Kinderklinik Stuttgart war, erstellte diese einen entsprechenden Meldebogen an den Reichsausschuss am 14.11.1941. Gemeldet wurde unter anderem, dass Hans seit Frühjahr 1941 täglich Krampfanfälle hatte. Ebenso, dass seine Entwicklung nicht altersgemäß sei. Einjährig konnte Hans mit Unterstützung sitzen, zweieinhalbjährig sei er geistig und körperlich zurückgeblieben. Zudem würde er nicht sprechen und laufen und sei noch inkontinent. Allerdings ist es auch heute noch normal, dass Kinder mit zweieinhalb Jahren Windeln tragen. Gemeldet wurde auch, dass Hans zeitweilig einen starken Bewegungsdrang mit Gebrüll habe. Von Bedeutung für den Reichsausschuss und dessen grauenhafter Nazi-Ideologie war sicherlich die Mitteilung, dass man bei Hans nicht davon ausgehe, dass Heilung oder Besserung eintreten könne. Im Mittelpunkt stand den Nazis nicht individuelles medizinisches Handeln, sondern die Gesundung eines übergeordneten „Volkskörpers“.

Sicherlich war es für die Familie nicht einfach mit Hans zuhause. Gute frühkindliche Beratungsstellen und therapeutische Angebote gab es nicht. Die Versorgung eines Kindes mit Behinderung war deshalb oftmals schwieriger als heute. Im Frühjahr 1942 bekam die Mutter dann eine Vorladung vom Gesundheitsamt Ludwigsburg. Am 30. Mai 1942 wurde ihr dort nahegelegt, Hans in einer Anstalt unterzubringen. Allerdings lehnte die Mutter ab und erklärte mit Unterschrift, dass sie in der Lage sei, Hans zu versorgen und zu verköstigen. Der Aufwand sei für sie nicht zu hoch. Sollte sich das ändern, werde sie sich melden. Das Gesundheitsamt meldete dies dem Reichsausschuss.

Leider wurde es für Martha und Gottlob zuhause schwieriger mit der Betreuung ihres Sohnes. Der kleinkindliche Hans verstand sicherlich eigene körperliche Abläufe nicht und Unwohlsein aufgrund der Epilepsie führte gelegentlich zu Aggressionen. Für die Eltern war dies nicht einfach und das Gesundheitsamt hatte doch nur Gutes über die Kinderheilanstalt in Eichberg bei Wiesbaden berichtet. Das Personal des Gesundheitsamtes handelte dabei wohl in bester Absicht.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass die wahre Bestimmung der sogenannten „Kinderfachabteilung“ in Eichberg bekannt war.  „Kinderfachabteilungen“ waren aber reine Tötungsabteilungen.  Dort wurden zwischen April 1941 und März 1945 mindestens 430, nach Schätzungen aber eher sogar mehr als 500 Kinder ermordet. Eichberg unterhielt auch eine Kooperation mit der psychiatrischen Uniklinik Heidelberg. In Heidelberg zuerst untersuchte Kinder wurden dann nach Eichberg zur Ermordung gesandt, um anschließend ihre Gehirne zu Forschungszwecken in Verbindung mit der „Euthanasie“ wieder in Heidelberg zu haben.

Am 6. Juli 1942 gaben nun die Eltern schriftlich das Einverständnis auf dem Gesundheitsamt Ludwigsburg, dass sie eine Einweisung von Hans Walter nach Eichberg wünschen. Die Mutter schrieb dann selbst die Einrichtung an. Sie schilderte, dass sie nur Gutes über die Landesheilanstalt Eichberg erfahren habe und deshalb beruhigt war. Gemeinsam mit ihrem Mann brachte sie ihren Sohn Hans nach Eichberg. Die AOK übernahm die Kosten der Anstaltsunterbringung. Die Aufnahme erfolgte am 22. September 1942. Keine vier Monate später bekam die Familie die Nachricht von Eichberg, dass Hans an einer Lungenentzündung gestorben sei.

Die einzige Funktion von „Kinderfachabteilungen“ war das Ermorden von Kindern mit Behinderungen. In der Landesheilanstalt Eichberg war Hans Walter in einer extra für das Morden eingerichteter Kinderbaracke in Randlage der Einrichtung unterbracht. Dort wurden die unter neunjährigen gesondert ermordet.  Das Morden geschah durch die Überdosierung von Medikamente (Luminal, Chloralhydrat oder Morphium) und / oder durch Nahrungsmittelentzug.

Gottlob und Martha Walter fuhren zur Beerdigung nach Eichberg. Am Leichnam ihres Sohnes konnten sie keine Auffälligkeiten entdecken. Hans Walter wurde am 16. Januar 1943, drei Wochen vor seinem 4. Geburtstag, ermordet.

Mein herzlicher Dank gilt Christian Hofmann. Er ist Archivar am Staatsarchiv Ludwigsburg. Seit vielen Jahren leistet er ehrenamtlich Erinnerungs- und Forschungsarbeit zu den Ermordungen von Menschen mit Behinderungen im Nationalsozialismus. Ohne seine Beratung und Informationen hätte ich die Geschichte von Hans Walter nicht umfänglich recherchieren können.

Vielen Dank an Regina Witzmann. Sie ist stellvertretende Archivleitung im Stadtarchiv Ludwigsburg. Immer hilft, berät und unterstützt sie die Mitglieder der Stolperstein- Initiative Ludwigsburg geduldig und umfangreich.

Marc Haiber

Quellen:

Ludwigsburger Geschichtsblätter Bd. 75/2021: Kinder-„Euthanasie“ und das Gesundheitsamt Ludwigsburg von Christian Hofmann

Hie gut Württemberg – Beilage der Ludwigsburger Kreiszeitung 2.10.2021: Opfer von Kinder-„Euthanasie“ im Kreis Ludwigsburg von Christian Hofmann

HHStAW Abt. 631a Nr. 366: Vernehmung Martha Walter 20.7.1948

StAL FL30/12 III Bü1448

Stadtarchiv Ludwigsburg – Adressbücher, Meldekarte und Fürsorgeakte