Der antifaschistische Athlet starb jung
Obere Gasse 16
Diese Ehrung ist für ein Opfer des Nationalsozialismus, das schon 1933 starb. Manchmal wird gesagt: Der Krieg begann doch erst 1939. Der Krieg ja, aber die Verfolgung und Ausschaltung der politischen Gegner begannen viele Jahre früher.
Wir erinnern uns: Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler.
Am 27. Februar 1933 wurde der Reichstag in Berlin in Brand gesteckt, Kommunisten wurde der Vorwurf der Brandstiftung gemacht. Nur einen Tag später wurde die «Reichstagsbrandverordnung» erlassen. Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt und der Weg für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP frei gemacht. Die sofort eingeleiteten Verhaftungen begannen mit einer Reihe von hohen Funktionären der linken Parteien.
Am 5. März 1933 war die Reichstagswahl. Schon in den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages kam es in Deutschland zu zahlreichen Verhaftungen. Hermann Wißmann und viele Genossen von KPD und SPD wurden in Ludwigsburg verhaftet und zum Militär-Arresthaus gebracht, das sich in der Hindenburgstraße befand. Die Verhaftungswelle ging weiter: Unter den Gefangenen waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Arbeitersportler, Zeugen Jehovas und andere Missliebige des Regimes.
Wer war Hermann Wißmann?
Hermann Wißmann wurde am 24. Januar 1902 im damals noch selbständigen Hoheneck geboren. Seine Familie lebte in der Oberen Gasse: Vater, Mutter, zwei Brüder und eine Schwester.
Hermann war von Jugend an aktiver Sportler im Hohenecker Turnverein und dort Vorsitzender von 1930 bis zu seiner Verhaftung 1933. Bei der Neugründung des Athletiksportvereins «Täle», dem gemeinsamen Kraftsportverein der Neckarweihinger und Hohenecker Männer, wirkte Wißmann mit. Er betätigte sich in der Schwerathletik, damals ein beliebter Männersport. Die ältesten Mitbürger wissen noch von Wißmanns sportlichen Erfolgen.
Beide Vereine traten in den zwanziger Jahren dem Arbeiter-Sportbund beziehungsweise Arbeiter-Athletenbund bei. Die NSDAP löste 1933 alle sportlichen, geselligen und religiösen Vereinigungen auf und zog deren Vermögen ein. So verloren beide Vereine, in denen Wißmann wirkte, ihre Sportplätze, die Übungsräume und alle Geräte.
Als junge Arbeiter kamen Hermann Wißmann und sein jüngerer Bruder Robert zur KPD und waren dort politisch tätig. Das Parteibüro der KPD befand sich in der Seestraße. Hier wurde auch die «Ludwigsburger Arbeiterzeitung» der KPD hergestellt und von den KPD-Mitgliedern verkauft. Wißmann war ebenfalls Mitglied der Gewerkschaft und der «Roten Hilfe», die politische Gefangene unterstützte. Als Beruf finden wir in seinen Akten die Bezeichnung Maschinenarbeiter.
Nach ihrer Verhaftung am 6. März 1933 waren die Männer nur kurze Zeit im Arresthaus. Danach ging der Transport von Ludwigsburg mit Autobussen auf die Schwäbische Alb ins Konzentrationslager, dem so genannten «Schutzhaftlager Heuberg» bei Stetten am kalten Markt.
In der Bevölkerung war das KZ bekannt. Schon 1933 gab es die Redewendung: «Halt bloß deinen Mund, sonst kommst auf den Heuberg.»
Schnell verhaftet
Wie schnell das gehen kann, erzählte Karl Kunde, KPD-Genosse und Mitgefangener dieses Transportes: «Auf der Fahrt zum Heuberg kam es zu einem Zwischenfall. Wir fuhren an einer Gruppe Straßenarbeiter vorbei, die wohl mitbekommen hatten, welche Insassen in den Bussen saßen. Sie grüßten uns mit erhobener Faust. Unser Transportführer, der stadtbekannte Nazi Motsch, er war SA-Standartenführer, ließ anhalten. Mit seinen SA-Mannen verhaftete er die ganze Gruppe und nahm sie gleich mit auf den Heuberg. Wir konnten sie noch lange auf dem Heuberg sehen und von den Mitgefangenen leicht unterscheiden, da sie in ihrer Arbeitskleidung verhaftet worden waren und keine Gefängniskleider trugen.»
Im Lager Heuberg waren während des Ersten Weltkrieges russische Kriegsgefangene untergebracht. Der Friedhof nebenan ist trauriger Zeuge vom großen Elend dieser Zeit. 1933 wurde das Lager zum ersten Schutzhaftlager Württembergs für Männer, es war ein Arbeitslager.
Die Anlage galt als Vorzeigelager, Journalisten wurden dort herumgeführt. Es gab sogar einen «Tag der offenen Tür». Alles schien in bester Ordnung zu sein. Doch der Schein täuschte, weil niemand hinter die Kulissen sehen konnte.
Im Konzentrationslager Heuberg befanden sich bald 3.000 Inhaftierte, obwohl es nur für ein paar hundert Insassen eingerichtet war.
In der Anfangszeit wurden die Häftlinge mit sinnlosen Arbeiten beschäftigt, etwa Steine von einer Ecke des Platzes zur anderen schleppen. Ständig wurden die Männer schikaniert. Prügel, Quälereien und schwere Körperverletzungen waren bei der SA-Wachmannschaft an der Tagesordnung; es gab Scheinerschießungen. Manche Gefangenen zerbrachen an den seelischen Grausamkeiten – vielleicht auch Hermann Wißmann.
Sport gegen die Haftbedingungen
Wißmann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Häftlinge nach der schweren Arbeit zu sportlicher Ertüchtigung zu animieren. Auch pflegte er mit ihnen das sportliche Spiel als Ausgleich zur harten Arbeit und zum Zusammenhalt der Gefangenen.
In so einer Arbeitspause starb Hermann Wißmann am 8. April 1933 an Herzversagen. «Er fiel plötzlich um – der Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen», schrieb der Augenzeuge Karl Kunde in seinem Buch. Ob dem Zusammenbruch ein Ereignis vorangegangen war, das ihn direkt bedingte, konnte Karl Kunde nicht berichten.
Hermann Wißmann wurde nur 31 Jahre alt – er hinterließ eine junge Frau und die dreijährige Tochter Sonja. Ihm bleibt der traurige Ruhm, der erste Tote im Konzentrationslager Heuberg zu sein.
Im Ludwigsburger Krematorium fand am 11. April 1933 die Trauerfeier und Einäscherung statt. Seine letzte Ruhestätte fand Hermann Wißmann auf dem Hohenecker Friedhof. Obwohl die Trauerfeier von den Nazis überwacht wurde, nahmen viele Mitglieder der KPD an der Feier im Krematorium teil und erwiesen ihrem Genossen und Freund die letzte Ehre. Kein Wort über die Verhaftung, das Lager und die Umstände des Todes durften die Familie oder seine Freunde erzählen. Hohe Strafen wurden bei Nichtbeachtung angedroht.
Die Witwe Wißmanns starb schon 1941. Mit elf Jahren war das Mädchen Sonja Vollwaise. Sie wohnte bei den Großeltern in Ludwigsburg, und zu allem Unglück verstarb 1943 der Großvater. Später sagte Sonja über diese Zeit: «Wir lebten stets unter Bewachung der Gestapo. Unser Leben war sehr dürftig, da uns die nationalsozialistische Regierung jegliche Hilfe verweigerte.»
Eine Mitschülerin von Sonja erzählte dieser Tage: «Ich bin mit Sonja in die Schule gegangen. Sie war ein liebes Mädchen und eine gute Sportlerin. Über ihren Vater hat sie gesagt: Mein Papa ist tot. – Wir wussten nichts von den traurigen Vorfällen, auch in unserem Elternhaus haben wir nichts davon gehört.»
Sonja Wißmann besuchte nach der Volksschule die Höhere Handelsschule bis 1946. Sie arbeitete danach als kaufmännische Angestellte. 1949 heiratete Sonja einen US-Soldaten und ging mit ihm nach Amerika. Einwandern in die USA ist nicht leicht, erst recht für einen alten Menschen. Aber die junge Frau hat es geschafft, vier Jahre nach ihrer Hochzeit die Großmutter in die Staaten zu holen. Eine wahrhaft edle Tat!
Wißmanns Grab existiert heute nicht mehr. Aber in Neckarweihingen gibt es die Hermann-Wißmann-Straße und auf dem dortigen Au-Friedhof steht sein Name auf dem Mahnmal. Der Stolperstein in der Oberen Gasse in Hoheneck erinnert an das Schicksal des Antifaschisten, damit Hermann Wißmann in unserem Gedächtnis bleibt. Inzwischen wurden wir informiert, dass auch in der Südstadt Hannovers vor etlichen Jahren eine Straße ausdrücklich nach dem jung verstorbenen KPD Mitglied und Sportler in Wißmannstraße umbenannt wurde.
Karin Kohler
Fotomontage oben: Gebäude Obere Gasse 16 im Jahr 2008,
Portrait von Hermann Wißmann aus «Streiflichter»