Jenny Elsas

Solitudestraße 5

Jenny Elsas, geb. Nathan (1885 -1942)

(Foto: Oktober 1939, Quelle: Yad Vashem, privat)

Jenny Elsas, geb. Nathan, wurde am 22. April 1885 in Stuttgart geboren. Sie war das jüngste von vier Kindern des Stuttgarter Kaufmanns Albert Nathan und seiner Frau Karoline Nathan, geb. Mainzer.

Jenny Elsas heiratete am 25. März 1909 als „gute Partie“ den 31-jährigen Beno Elsas aus Ludwigsburg. Beno Elsas war Teilhaber im Betrieb der „Mechanischen Buntweberei Elsas & Söhne“ der angesehenen Familie Elsas in Ludwigsburg, Marstallstrasse 4. Das junge Ehepaar wohnte im 2. Stock des stattlichen Hauses Solitudestrasse 5 in Ludwigsburg.

Jenny und Beno Elsas hatten drei Söhne. Richard wurde am 12. Februar 1910 und Martin am 12. November 1912 in Ludwigsburg geboren. Der jüngste Sohn Ludwig kam am 11. September 1914 in Stuttgart auf die Welt.

Beno Elsas war seit Anfang August 1914 Soldat im Ersten Weltkrieg und starb als Unteroffizier der Landwehr bereits am 05. September 1914 in St. Dié in den Vogesen.

Fünf Tage nach seinem Tod hat Jenny Elsas den jüngsten Sohn Ludwig in Stuttgart zur Welt gebracht. Der frühe Tod ihres Mannes muss für Jenny Elsas ein lebenslanges Trauma bedeutet haben. Sie litt sehr unter dem Verlust ihres Ehemannes und erkrankte in der Folge psychisch, so dass sie Anfang der 1920er Jahren mehrfach verschiedene Kliniken aufsuchen musste.

Nach dem Tod ihres Mannes blieb Jenny Elsas als Witwe mit den drei kleinen Söhnen allein zurück. Sie wohnte mit den Kindern weiterhin in der Solitudestrasse 5 in Ludwigsburg.

Finanziell konnte Jenny Elsas durch die Unterstützung der Familie Elsas sowie durch eine staatliche Kriegshinterbliebenenrente (bis 1933) ohne Sorgen und in guten Verhältnissen leben. Sie führte in dem geschmackvoll eingerichteten Heim in der Solitudestrasse 5 einen gepflegten Haushalt mit Personal, u.a. Kindermädchen, Köchin, Wasch- und Bügelfrau. Die Wohnung war mit Biedermeier-Möbeln, wertvollen Teppichen, Porzellangeschirr und Kristallgläsern, einer Bibliothek und Kunstgegenständen ausgestattet.

Ihr Sohn Richard hat in einem Brief aus den 1950er Jahren geschrieben, dass seine Mutter nach dem Tod des Vaters ein sehr zurückgezogenes Leben geführt habe. Für die Mutter sei die eingerahmte Urkunde sehr wichtig gewesen, die besagte, dass der Dank des Vaterlandes der Kriegerwitwe Jenny Elsas und ihrer Familie für immer sicher sei. Diese Urkunde habe einen Ehrenplatz an der Wand in der Wohnung der Solitudestrasse 5 gehabt.

Als Kriegerwitwe fühlte sich Jenny Elsas daher unter der nationalsozialistischen Herrschaft und der ständig zunehmenden Judenfeindlichkeit in den 1930er Jahren zunächst relativ sicher. An Auswanderung hat Jenny Elsas erst viel später gedacht.

Die drei Söhne haben die Gefahren des Nationalsozialismus viel früher erkannt und konnten rechtzeitig aus Ludwigsburg und Deutschland fliehen. So ist der jüngste Sohn Ludwig bereits 1931 mit 17 Jahren aus Ludwigsburg geflohen, da er wegen seines Engagements in einer jüdischen „Anti-Nazi“-Jugendgruppe in Lebensgefahr war. 1936 ist er nach Südafrika ausgewandert. Der mittlere Sohn Martin wanderte ebenfalls 1936 nach Südafrika aus. Beide waren Soldaten in der südafrikanischen Armee. Richard, der alsältesterSohn früh die Rolle des „Mannes im Haus“ übernommen hatte, wohnte bis zu seiner Auswanderung in die USA im Jahr 1938 bei seiner Mutter in der Solitudestrasse 5. Warum Jenny Elsas nicht direkt mit ihm Deutschland verlassen hat, ist nicht bekannt.  

Die Repressionen der Nationalsozialisten gegenüber den jüdischen Bürgern nahmen auch im familiären Ludwigsburger Umfeld von Jenny Elsas immer weiter zu: so wurde der Betrieb „Mechan. Buntweberei Elsas & Söhne“ 1938 „zwangsarisiert“, das heißt enteignet, wodurch die Familie kein Einkommen mehr hatte. Der Seniorchef des Betriebes, Max Elsas (Onkel von Jenny Elsas‘ Ehemann Beno), ein vor der nationalsozialistischen Herrschaft hoch angesehener und geehrter Bürger der Ludwigsburger Stadtgesellschaft, blieb wegen seines hohen Alters in Ludwigsburg, wo er immer weiter ausgegrenzt, geächtet und isoliert wurde. Noch im Alter von 83 Jahren wurde Max Elsas 1942 (nach Zwangsaufenthalt im Jüdischen Altenheim Eschenau bei Heilbronn) in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er im gleichen Jahr an Entkräftung und Krankheit verstarb.

Jenny Elsas stand mit ihren ausgewanderten Söhnen in engem Briefkontakt. So schrieb sie z.B. in einem Brief an Richard nach New York im August 1938, dass sie Englisch-Stunden habe und im Winter fleißig lernen möchte. Richard solle ihr auch bald ein bestimmtes Englisch-Buch schicken. Sie hat sich also auf ihre eigene Auswanderung vorbereitet.

Die Briefe von Jenny Elsas an ihre Söhne aus dieser Zeit (bis 1941) waren sehr familiär, zugewandt, ja, auch humorvoll. Sie berichtete in diesen Briefen über Bekannte und Verwandte im Raum Stuttgart, über deren Alltag und Neuigkeiten. Über ihre Situation unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft berichtete sie nicht direkt, nur indirekt schrieb sie manchmal von „geänderten Verhältnissen“ im Bekanntenkreis. Wie es ihr selbst in diesen Zeiten ging, darüber schrieb sie nicht. Sie klagte nicht und wirkte immer zuversichtlich.

Nach kurzem Aufenthalt in der Marstallstrasse 4 wohnte Jenny Elsas ab März 1939 in Bad Cannstatt in der Daimlerstrasse 40, in einer Wohnung von Isidor Gerstle, einem wohlsituierten Fabrikanten und Schwiegervater ihres Schwagers Theodor Elsas. Dort wohnte Jenny Elsas zusammen mit drei anderen Damen in möblierten Zimmern, in Vorbereitung und Hoffnung auf ihre baldige Auswanderung.

Ende der 1930er Jahre wurde auch Jenny Elsas das Bankguthaben bei einer Ludwigsburger Bank entzogen. Darüber hinaus musste sie Wertgegenstände wie Schmuck in der Städtischen Pfandleihanstalt, Stuttgart, zwangsabliefern.

Im Jahr 1940 gelang es Jenny Elsas noch, ihren umfangreichen und wertvollen Hausrat aus der Solitudestrassse 5 bei der Speditionsfirma „Gustav von Maur und Bodenhöfer“ in Stuttgart als Umzugsgut zur späteren Verschiffung nach Amerika einzulagern. Das Umzugsgut umfasste einen sog. Lift und 9 Kisten. Nur das für die Auswanderung vorgesehene Handgepäck hatte Jenny Elsas danach vermutlich noch bei sich.

Isidor Gerstle wurde – wie viele andere Juden aus dem Stuttgarter Raum – nach Haigerloch zwangsumgesiedelt, was zur Zentraliserung von Juden vor der Deportation in die Konzentrationslager diente.

Jenny Elsas musste daher die Daimlerstrasse verlasssen und kam bei einer anderen Familie in Stuttgart in der Kasernenstrasse 11 unter. Sie schrieb im Oktober 1941an ihren Sohn, dass sie in Stuttgart bleiben dürfe, da sie in Auswanderung stehe. Sie fühle sich bei der Familie gut aufgehoben und habe nun Zeit, alles vorzubereiten. In einem weiteren Brief von Ende Oktober 1941 drückte sie ihre Hoffnung und Freude aus, bald in New York mit ihrem Sohn sowie dem Schwager Theo Elsas und dessen Frau (Tochter von Isidor Gerstle) vereint zu sein. Vor ihrer Reise wolle sie noch die Gräber besuchen und auch nach Haigerloch fahren. Sie beendete den Brief mit den Worten: „Also macht Euch keine Sorgen, es gelingt mir alles und ich habe ja auch Hilfe.“

Zu dieser Zeit musste Jenny Elsas immer den „Judenstern“ tragen und als Absender ihrer Briefe „Jenny Sara Elsas“ schreiben. 

Die Versuche der Söhne Martin und Ludwig im Jahr 1941, ein Visum für ihre Mutter zur Einreise nach Südafrika zu erhalten, sind gescheitert. Im gleichen Jahr hat ihr Sohn Richard noch versucht, die Auswanderung von Jenny Elsas nach Amerika zu erwirken, was infolge der Kriegsereignisse nicht mehr gelang. Nur noch über den Umweg Kuba war eine Auswanderung möglich. Ihr Sohn Richard, wohnhaft in New York, hat von dort aus ein Visum über Kuba für Jenny Elsas beschafft. Ihm wurde mitgeteilt, dass dieses Visum ab dem 17.Oktober 1941 in der Berliner Legation (Gesandtschaft) zur Abholung bereit läge. Ob Jenny Elsas überhaupt wußte, dass in Berlin das Visum bereit lag und falls ja, ob sie nach Berlin hätte reisen können, ist nicht bekannt.

Am 16. Februar 1942 wurde Jenny Elsas (vermutlich von der Kasernenstrasse in Stuttgart) in das Wohnheim für jüdische Menschen aus Württemberg Schloss Weißenstein in der Nähe von Göppingen zwangsumgesiedelt. Dieses von den nationalsozialistischen Regierungsstellen beschlagnahmte Schloss war in der NS-Zeit ein Durchgangslager auf dem Weg in die Deportation und den Tod.

In der folgenden Woche schrieb Jenny Elsas in einem Brief an ihren Cousin Ernst Hilb in der Schweiz, dass sie nun in Weißenstein in einer Gemeinschaft lebe und sich gut eingelebt habe. Sie schrieb über das landschaftlich schön gelegene Schloss mit viel Schnee.

Aus einem Brief von Ernst Hilb an Richard Elsas vom 20. April 1942, in dem er eine Nachricht von Jenny Elsas an ihn wortwörtlich wiedergab, ist folgendes zu entnehmen: Ihre Umsiedlung von Weißenstein in das General Gouvernement (Anm.: damit ist die Deportation nach Polen gemeint) stehe nun an, der Abschied vom Schloss täte ihr leid. Sie habe sich so gut eingewöhnt und hätte gerne den Frühling in dieser „einzig schönen“ Gegend erlebt. Sie sei nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit 9 Genossinnen. Vermutlich war diese Mitteilung an den Cousin Ernst Hilb das letzte Lebenszeichen von Jenny Elsas.

Vier Tage später, am 26. April 1942, wurde Jenny Elsas von Schloss Weißenstein nach Izbica deportiert. Es liegen keine Dokumente zum Todeszeitpunkt von Jenny Elsas vor.

Nachwort

Izbica war ein Transit-Ghetto, von dem aus die deportierten jüdischen Menschen in die reinen Vernichtungslager Chelmo oder Sobibor transportiert wurden. Die dort An kommenden wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet. Jenny Elsas hat daher mit hoher Wahrscheinlichkeit den Mai 1942 nicht überlebt.

Aus amtlichen Unterlagen ist zu entnehmen, dass keine tatsächlichen Ermittlungen bzgl. des Todeszeitpunktes von Jenny Elsas durchgeführt wurden. Das Amtsgericht Ludwigsburg hat aufgrund einer Zeugenvernehmung (Dr. Ludwig Elsas, 1946) den 30. November 1942 als Todesdatum festgesetzt.

Das bei der Speditionsfirma „Gustav von Maur und Bodenhöfer“ in Stuttgart eingelagerte Umzugsgut von Jenny Elsas wurde von der Gestapo beschlagnahmt und in das Alte Schloß, Stuttgart, gebracht. Dort wurde es bei einer Versteigerung im Juli 1942 verschleudert.

Dr. Barbara Pietsch

Quellen:

Joachim Hahn: Jüdisches Leben in Ludwigsburg. Geschichte, Quellen und Dokumentation, hrsg. Von der Stadt Ludwigsburg – Stadtarchiv und vom Historischen Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg. Karlsruhe 1998

Staatsarchiv Ludwigsburg, Amtsgericht Stuttgart: Akten des Schlichters für Wiedergutmachung Stuttgart 1947 – 1975, FL 300/33 I

Stadtarchiv Ludwigsburg

Briefwechsel aus dem Nachlass von Jenny Elsas, private Mitteilungen einer Angehörigen

Unterlagen von Klaus Maier-Rubner

https://stolpersteine-ludwigsburg.de/max-elsas/

https://www.yadvashem.org/de.html

https://arolsen-archives.org

https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch

http://synagoge-haigerloch.de/de/juedische-geschichte/nationalsozialismus

http://www.alemannia-judaica.de/weissenstein_juedgeschichte.htm