Statt Schutz fand sie mit 44 den Tod
Möglinger Straße 4
Lydia Würth wurde am 15. Juni 1896 in Pflugfelden geboren. Die Familie wohnte in der Möglinger Straße 4. Sie war das vierte von zehn überlebenden Kindern. Die Familie war sehr arm, der Vater war Tagelöhner.
Im Alter von zwei Jahren erkrankte Lydia an einer Lungenentzündung. Eine geistige Beeinträchtigung hatte sie nach ärztlicher Meinung von Geburt an. Sie lernte sie erst mit zwei Jahren Stehen und Gehen und mit vier Jahren Sprechen.
In Pflugfelden wurde sie 1903 eingeschult und konnte nach mehr als einjährigem Schulbesuch, laut einem Bericht des Oberamtsarztes Zeller, im Oktober 1904 an den Fingern nur bis sechs richtig zählen. Oberamtsarzt Zeller diagnostizierte, dass Lydia „im mäßigen Grade schwachsinnig“ sei. Sie sei aber gutmütig und in einer Anstalt bildungsfähig. Körperliche Einschränkungen hatte Lydia Würth keine.
Im Mai 1905 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Gärtnerhaus aufgenommen. Dort besuchte sie die Schule. Mit 14 Jahren wurde sie wohl ausgeschult. Sie half beim Putzen und anderen Hausgeschäften. Lydia arbeitete wohl gerne und wurde als gute „Schafferin“ geschätzt.
1916 wurde Lydia Würth in die Landesarmenanstalt Markgröningen eingewiesen. Diese war wesentlich billiger als die Stettener Anstalt. Das Leben in Markgröningen während des ersten Weltkrieges und in den Jahren danach war hart.
Am 7. August 1940 wurde Lydia Würth in Grafeneck ermordet. Mit 74 weiteren Frauen hatten „graue Busse“ sie dorthin verfrachtet. Nach ihrer Ankunft dort musste sie sich wie die anderen Opfer ausziehen. Unter dem Vorwand des Duschens wurde Lydia Würth dann im Vergasungsraum ermordet. Das Vergasen der Opfer dauerte 20 Minuten und war für sie, wie für alle Opfer, ein qualvoller Kampf mit dem Tod.
Marc Haiber