Kurzbiografien zeigen berührende Einzelschicksale
Walter Mugler, Regina Boger, Jochen Faber und Max Bleif (v.l.)
engagieren sich in der Initiative Stolpersteine. Foto: Avanti/Ralf Poller
Die Initiative Ludwigsburger Stolpersteine recherchiert die Lebensgeschichte von Nazi-Opfern. In Murr stellten die Aktivisten ihre Arbeit vor.
Cornelia Ohst
Wer schon einmal über den Begriff „Stolpersteine“ gestolpert ist und gern mehr darüber gewusst hätte, der hatte am Donnerstag die Gelegenheit dazu. In der Murrer Ortsbücherei hat sich die Ludwigburger Initiative vorgestellt. Schon seit Längerem beschäftigte die Büchereileiterin Ursula Kindermann sich mit dem Gedanken, die Initiative einzuladen. Den 9. November hielt Kindermann „für einen passenden Termin, um sich auch die Geschehnisse von vor 85 Jahren ins Gedächtnis zurückzurufen“. Bei der Terminvereinbarung im März ahnte sie jedoch nicht, welche Brisanz das Vortragsthema ein gutes halbes Jahr später haben würde. „Heute ist es umso wichtiger“, beurteilt Kindermann die aktuelle Lage und wünscht sich „weitaus mehr couragierte Menschen, die Stellung gegen Menschenhass beziehen“.
Regina Boger, Jochen Faber, Max Bleif und Walter Mugler sind Zeitgenossen, die das konkret tun. Sie engagieren sich seit knapp 15 Jahren im bürgerschaftlichen Projekt für die Initiative Stolpersteine. Boger, Faber und Mugler sprachen am „Schicksalstag der Deutschen, der so viele außerordentliche Ereignisse vereint“, vor einem interessierten Auditorium. Denn bevor ein glänzender Messing-Stolperstein, der an einen von den Nazis ermordeten Menschen erinnert, im Boden verlegt wird, braucht es viel Zeit und gründliche Recherche, um den Werdegang der jeweiligen Person bis hin zu ihrer Ermordung nachweisen zu können.
Hinter den Stolpersteinen steckt ein großer Aufwand
Die Recherche erfolgt in der Hauptsache über Aktenstudien aus Archiven, Informationen aus Sachbüchern oder auch über Berichte von Zeitzeugen. Und es braucht tatsächlich eine Art Baugenehmigung. Denn von behördlicher Seite aus wird der Stolperstein, als Bauwerk gewertet. Doch in Ludwigsburg werde der Umgang mit den Steinen, die übrigens als „Verneigung vor dem Toten“ zu verstehen sind, weil man nur in gebückter Haltung die Details lesen kann, recht unkompliziert gehandhabt, wie das Publikum erfuhr. Zudem wurden die Gäste darüber informiert, dass von aktuell 96 im Ludwigsburger Bezirk verlegten Steinen, die meisten nichtjüdische Opfer gewesen seien. „Der größte Anteil sind die Krankenmorde“, so Jochen Faber, der wie seine Mitstreiter auch, kein gelernter Historiker, aber dennoch bestrebt ist, über die grausamen Vorkommnisse „nicht einfach nur den Deckel drüber zu legen“, sondern stattdessen an die Ermordeten zu erinnern.
Vater der Stolpersteine ist der Kölner Künstler Gunter Demnig, der mit seinem Kunstprojekt an die Opfer der NS-Zeit erinnert, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas.
Wie berührend die Einzelschicksale sind, das verdeutlichten die Sprecher mit ausgewählten Kurzbiografien von politisch Verfolgten, Juden, Widerstandskämpfern sowie gesundheitlich eingeschränkten Menschen. Regina Boger stellte dabei etwa Hans Alfred Groß vor, der in direkter Nachbarschaft von ihr lebte und der 1945 im Alter von 23 Jahren ermordet worden war. Die blind geborene Anita Henk war noch nicht einmal vier Jahre jung, als sie von den Nazis getötet wurde.
In Ludwigsburg saßen auch Wehrmachtsgerichte, die Todesurteile fällten
Auch einen „blinden Fleck in der Stadtgeschichte“ wussten die Stolpersteinakteure zu beleuchten: So war Ludwigsburg nicht nur Garnisonsstadt, sondern auch Sitz von Wehrmachtsgerichten und Exekutionen (Schießtal und Osterholz), bei denen 68 Menschen hingerichtet wurden.