Ein Koffer bestätigt: Harry Grenvilles Familie starb in Auschwitz

von Eleanor Williams, BBC News · 27. Januar 2013

Harry Grenville war schon immer überzeugt, dass seine Eltern und Großmutter 1944 in Auschwitz starben. Doch er hatte nie einen konkreten Hinweis darauf, dass sie den Tod in diesem Nazi-Vernichtungslager in Polen gefunden hatten – bis zur letzten Woche, als ihn aus heiterem Himmel eine Fotografie des Koffers erreichte, den sein Vater ins Konzentrationslager mitgenommen hatte.

Dieser Koffer mit dem deutlich zu erkennenden Namen Jacob Greilsamer kann auf einem Stapel im Auschwitz-Museum klar erkannt werden. Ein polnischer Fotograf hatte das Foto an Herrn Grenvilles Freunde in Deutschland geschickt. Die schickten es per E-Mail an Herrn Grenville (86), der viele Jahre lang in Dorchester in Dorset gelebt hatte.

Er war erst 13 Jahre alt, als er vor dem Holocaust floh, indem er zusammen mit seiner Schwester Hannah mit einem Kindertransport nach England gebracht wurde. Sie kamen im Juli 1939 an und wurden von einer Pflegefamilie in der Cornwall-Stadt Camelford aufgenommen – an diese Zeit erinnert er sich liebevoll, denn er wurde in die Familie integriert und auf das Gymnasium geschickt. „Wir waren glücklich“, sagt er. „Viele andere Kinder, die herkamen, wurden nicht so gut behandelt.“

Die Geschwister blieben über das Rote Kreuz in regelmäßigem Kontakt mir ihrer Familie, bis im Oktober 1944 eine letzte Nachricht kam, die besagte, ihre Eltern seien in den Osten geschickt worden.

Als der Krieg zu Ende ging, reiste Herr Grenville nach London, um die Liste der Überlebenden der Konzentrationslager zu prüfen. Die Namen seiner Eltern waren nicht dabei. Er wusste, dass sie den Krieg nicht überlebt hatten, doch bis zur vergangenen Woche hatte er keinerlei konkreten Hinweis, dass sie tatsächlich in Auschwitz ermordet worden waren.

Er sagt: „Aus heiterem Himmel kam eine Fotografie mit einer Menge Koffern von Opfern darauf, und die Koffer trugen die Namen der Opfer, die aufgemalt worden waren. Auf diesem bestimmten Foto, wer hätte das gedacht, war der Name meines Vaters.“ Der Name „Jacob Greilsamer“ ist klar erkennbar.


(Foto: BBC)

„Das war ein ziemlicher Schlag für mich – zum erstem Mal hatte ich einen verbindlichen Hinweis darauf, dass mein Vater, und demnach auch meine Mutter und meine Großmutter, tatsächlich in Auschwitz angekommen war. Wir wussten, dass sie 1942 in eine Art von Konzentrationslager geschickt worden waren, das war ein Ort namens Theresienstadt in der früheren Tschechoslowakei. Die letzte Nachricht vom Roten Kreuz stammte vom Oktober 1944 – es war ziemlich klar, was das zu bedeuten hatte. Sie besagte, dass meine Eltern nach Osten geschickt würden, und wir wussten, was ‚Osten’ bedeutete, denn allen Gefangenen von Theresienstadt war klar, dass damit die Vernichtungslager in Polen gemeint waren.

Sie wurden in diesen furchtbaren Viehwaggons transportiert, vom Internierungslager zu den Vernichtungslagern, wo die meisten von ihnen sehr bald nach der Ankunft getötet wurden. Wir hatten nur indirekte Belege dafür, dass sie angekommen waren, aber nun haben wir es mit einem Foto belegt – hier ist es, ‚Jacob Greilsame‘ auf diesem Koffer.“

An Herrn Greilsamer, seine Frau Klara und ihre Mutter Sara Ottenheimer erinnern nun Plaketten im Bürgersteig vor ihrem früheren Zuhause in Ludwigsburg bei Stuttgart, wo die Familie einen Großhandel für Verpackungsmaterial betrieb. Herr Grenville sagt: „Diese Klötze heißen Stolpersteiune, denn man soll im übertragenen Sinn darüber stolpern und sich an die Verbrechen der Nazis erinnern. Als diese Steine 2009 verlegt wurden, habe ich mit einigen Mitgliedern meiner Familie an der Zeremonie teilgenommen. Das war ein sehr bewegendes Ereignis, es gab eine Menge Zuschauer, auch der Oberbürgermeister war dabei. Es hat mich sehr bewegt zu sehen, dass die zweite und dritte Generation nach den Nazis sich so stark für Erinnerung und Aussöhnung einsetzt.“

Herr Grenville, geboren als Heinz Greilsamer, und seine Schwster, die nun in New York lebt, wurden wie etwa 10.000 zumeist jüdische Kinder durch die Kindertransport-Inititative während des Krieges aus Deutschland gerettet und ins Vereinigte Königreich gebracht. Nach dem Krieg blieb er in England, ging zur Britschen Armee und wurde in Cattistock in Dorset stationiert. Später wurde er Biologielehrer. Noch immer besucht er Schulen, um über den Holocaust zu sprechen. Er fügt hinzu: „Ich lege sehr großen Wert darauf, dass die Erinnerung an die jüngeren Generationen weitergegeben wird, kein Aufwand ist hierfür zu groß. Die jungen Leute müssen die Überlebenden treffen und ihnen zuhören.“

Marta Pfitzer

geb. Vanderdell

Krank geworden an den Folgen des Kriegs

Keplerstraße 10

Geboren ist Marta Pfitzer am 6. Oktober 1891 in Freudenstadt. Sie ist das siebte von acht Kindern. Ungewöhnlich an ihrem Lebenslauf: Sie heiratet am 28. Februar 1914 in London. Ehemann ist Eugen Pfitzer, geboren 1883 in Bruch in Kreis Backnang, sein damaliger Beruf war Kellner.

Später arbeitet er als Fabrikaufseher bei der Firma Heinrich Franck Söhne in Ludwigsburg. Sie haben vier Kinder: Eugen (*1914), Richard (*1921), Johanna (*1922) und Else (*1926). Die Wohnung der Familie war in der Keplerstraße 10.

Als Todesdatum verzeichnet das Familienregister in Freudenstadt den 17. Juni 1940 – dieses Datum ist gefälscht: Marta wurde am 4. Juni 1940 nach Grafeneck verschleppt und am selben Tag umgebracht.

Das Bezirkskrankenhaus Ludwigsburg hatte 1930 die „Verbringung der Geisteskranken in eine Irrenanstalt“ beantragt. Als um Kosten für die Unterbringung in der Anstalt Weinsberg gestritten wurde, argumentierte ein Anwalt: Eugen sei  als deutscher Soldat von 1914 bis 1919 in englischer Gefangenschaft gewesen und Marta habe den Haushalt und das neu geborene Kind alleine versorgen müssen. Ihre Erkrankung sei ausschließlich auf die Folgen der Kriegsjahre zurückzuführen.

1938 hält die Anstalt Weinsberg fest: „Die Frau im ganzen allmählich etw. ruhiger, aber doch nicht wesentlich verändert, zu manchen Zeiten freundlich und lässt eine paar vernünftige Worte mit sich reden. Auch strebsam und fleißig, putzt aus eigenem Antrieb tägl. das Badezimmer der Abteilung. Steht aber nach wie vor unter Wahnideen, hat lebhafte Gefühlstäuschungen, lautes Schimpfen. Es vergeht keine Tag ohne solche Szenen. Von einer Heimholung ist dringend abzuraten.“

Am 8. Juni 1940 teilt die Heilanstalt Weinsberg der Ortsfürsorge Ludwigsburg mit, dass Marta Pfitzer im Rahmen umfangreicher Verlegungen, die mit der Kriegslage zusammenhingen, in eine andere Anstalt verlegt wurde. Dies war Grafeneck, wo sie ermordet wurde.

Christian Rehmenklau

Friederike Baudermann

… kennt den Namen unseres Königs nicht

Talstraße 11

Über Friederike Katharina Baudermann ist bekannt, dass sie am 11. Januar 1869 geboren wird – ob in Scharnhausen oder in Ludwigsburg, darüber gibt es verschiedene Angaben. Sicher ist den Unterlagen zufolge: Die Familie lebt in Ludwigsburg in der Talstraße 11.

In einem ärztlichen Zeugnis von 1911 heißt es, neben der Diagnose Schwachsinn: „ […] sie kann wohl lesen, dagegen kann sie nicht die einfachsten Rechenexempel lösen […]. Sie kennt den Namen unseres Königs nicht und nicht den der Königin, von Geschichte weiß sie gar nichts, von der Bibel beinahe nichts.“

Friederike Baudermann ist arbeitsfähig und wohnt um 1911 offenbar bei ihrer Familie. Eine Schwester wohnte in Breslau, eine andere in Aalen. Vielleicht aus diesem Grund wird sie 1911 von Ludwigsburg in die Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall eingewiesen. Wo hauptsächlich junge Frauen zu Diakonissen ausgebildet wurden, wohnten auch bis zu 500 behinderte Frauen und Kinder.

1940 werden von hier 256 Bewohner nach Weinsberg gebracht und von dort aus bald darauf an die Orte ihrer Ermordung transportiert. Friederike Baudermann ist eine von ihnen. Sie wird am 20. November 1940 von Schwäbisch Hall abtransportiert und im März 1941 von Weinsberg aus „in eine andere Anstalt verlegt“, wie es ihre Akte vermerkt.

Die Gedenkstätte Hadamar in Mittelhessen teilt mit: „Weinsberg war zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar. Von dort gelangte Frau Baudermann in einem Transport mit 80 weiteren Patienten am 10. März 1941 nach Hadamar. Die Patienten eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet.“

Die Anstalt Hadamar teilt Anfang Juni 1941 dem Städtischen Sozialamt Ludwigsburg mit, „[…] dass die Sozialrentnerin Friederike Baudermann, geb. 11. 1. 1869 in Ludwigsburg, am 30. März 1941 verstorben ist.“ In der Gedenkstätte weiß man aus trauriger Erfahrung: „Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen.“

Gisela Scharlau

Martha Stauch

Eine junge Frau mit eigenem Sinn

Maxstraße 1

 

Martha Stauch erlitt im Sommer 1919 zum ersten Mal epileptische Anfälle. Als sie 14 Jahre alt geworden war, beschlossen ihre Eltern, sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal unterzubringen.

Dort verbrachte sie zunächst vier Jahre. Sie wohnte dann für ein Jahr bei ihren Eltern in der Maxstraße 1. Von dort wurde sie zum dritten Mal in Stetten aufgenommen. Martha konnte zwar manchmal eine schwierige Patientin sein, sie hatte aber auch gute Seiten. Sie konnte gut lesen, schreiben und rechnen und beschäftigte sich oft mit Handarbeiten. Sie ging gern zur Kirche und da sie das Stettener Konfirmandenbüchlein verstand, konnte sie auch konfirmiert werden.

Martha führte gern und oft Selbstgespräche. Oft thematisierte sie dabei die zwei verschiedenen Seiten ihres Wesens. Manchmal stellte sie fest: „Bisch eba a Luader, Martha“, um dann wieder selbstbewusst zu sagen: “D’ Martha isch scho recht, die kaas eba.“

Im Mai 1940 wurde Martha von einer Krankenschwester in die geschlossene Heilanstalt Weiß enau eingeliefert. Am 5. Dezember 1940 wurde sie von dort nach Grafeneck deportiert und dort noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet..

andreas nothardt

Berta Frank

geb. Kurzenberger

„ohne vorherige Genesung“

Weimarstraße 3

Berta Kurzenberger ist am 7. Juli 1907 als siebtes und jüngstes Kind des Schreinermeisters Karl Friedrich Kurzenberger  und seiner Frau Christiane in Mundelsheim geboren. Dort ist sie in einer großen Handwerkerfamilie aufgewachsen. Ob Berta einen Beruf erlernt hat, ist nicht bekannt.

Im Mai 1931 heiratet sie Max Frank, Orgelbauer und Schreiner, aus Ludwigsburg. Gemeinsam mit den Schwiegereltern wohnt das junge Paar in der Weimarstraße 3 in Ludwigsburg.

Im Juli 1932 werden Berta und Max Frank Eltern einer kleinen Tochter, Lieselotte. Lieselotte ist zwei Jahre alt, als ihre Mutter wegen einer psychischen Erkrankung in die Heilanstalt in Weinsberg aufgenommen wird. Nach kurzem Aufenthalt kehrt Berta zu ihrer Familie nach Ludwigsburg zurück. Ihre gesundheitliche Verfassung bleibt auf Grund ihrer als schizophren bezeichneten Erkrankung instabil.

So wird sie, von März bis August 1935, erneut in der Heilanstalt in Weinsberg untergebracht. Danach ist sie ein halbes Jahr lang wieder bei ihrer Familie, bevor sie im März 1936, „auf Ansuchen der Angehörigen“, wie im Patientenblatt vermerkt ist, als ständige Patientin in der Heilanstalt untergebracht wird. Die kleine Tochter Lieselotte wird von den Großeltern betreut. Max Frank beantragt wegen der Erkrankung seiner Frau im Jahr 1938 die Scheidung.

Im Patientenbuch der Heilanstalt Weinsberg ist unter dem Datum vom 10. März 1941 der Austritt Berta Franks vermerkt. In der dafür vorgesehenen Spalte steht „verlegt“, „ungeheilt“. Damit wird die „Verlegung“ in eine Tötungsanstalt umschrieben.  Nach der vom Reichsinnenministerium im Herbst 1939 verordneten Erfassung aller Patienten in den Heilanstalten des Deutschen Reichs gehört Berta Frank zu den Menschen, deren Leben „unwert“ ist.

Am 10. März 1941 wird Berta Frank mit anderen Patienten der Heilanstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt nach Hadamar gebracht und vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Der Stolperstein vor dem Gebäude  Weimarstraße 3, wo Berta Frank mit ihren Angehörigen vor der Einlieferung in die Heilanstalt gelebt hat, soll ein Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung sein, an Berta Frank und ihren gewaltsamen Tod.

Gudrun Kartstedt

Fanny Frank

40jährige Mutter wurde ermordet

Wernerstraße 20

Fanny Frank, geb. Katzenwadel, wurde am 18. Januar 1900 in Nussdorf (bei Vaihingen an der Enz) geboren. Sie war Hausfrau, evangelisch und mit Hans Frank, einem Kaufmannn in Ludwigsburg verheiratet. Ihre Eltern waren Karl Katzenwadel, Kaufmann, gestorben in Nussdorf und Pauline Sofie, geborene Schmidt, ebenfalls gestorben in Nussdorf.

Ihr letzter Wohnsitz in Ludwigsburg war in der Wernerstraße 20 in der Weststadt, dabei handelte es sich um eine Werkswohnung der Württembergischen Furnierwerke.

Fanny Frank erkrankte im Alter von 34 Jahren. Sie war in der Folge in verschiedenen Pflegeeinrichtungen. Am 24. Mai 1934 wurde sie „zum wiederholten Male ohne vorherige Genesung auf Ansuchen der Angehörigen aus dem Kreiskrankenhaus Ludwigsburg“ in der Privatklinik „Kennenburg“ in Esslingen aufgenommen.

Von hier kam sie am 17. August 1934 mit dem Vermerk „ungeheilt“ nach Göppingen. Sie blieb dort bis zum 30.  Juli 1938. Die Diagnose lautete Schizophrenie. Bei ihrem Austritt wurde vermerkt: „leicht gebessert“.

Schon wenige Tage später, am 4. August 1938 wurde sie „zum 2. Male ohne vorherige Genesung unmittelbar versetzt aus der Familie“. Sie war also nur vier Tage in Ludwigsburg bei der Familie, bevor sie wieder nach Göppingen kam. Dort blieb sie bis zum 21. Juni 1940, dann wurde sie nach Weinsberg verlegt.

Von hier wurde sie am 11. Dezember 1940 „ungeheilt“ entlassen, der neue Aufnahmeort wurde nicht genannt. Die Gedenkstätte in Grafeneck bestätigt, dass Fanny Frank am gleichen Tag, am 11. Dezember 1940, zusammen mit 74 anderen Menschen, in Grafeneck ermordet wurde. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Ludwigsburg.

Fanny Frank hatte eine Tochter namens Helene. Die Schwester von Fanny Frank war mit Albert Rees, dem Inhaber des in Ludwigsburg bekannten Spielwarengeschäftes, verheiratet. Hier arbeitete auch die Tochter Helene, die 1998 starb.

Christian Rehmenklau

Lydia Würth

Statt Schutz fand sie mit 44 den Tod

Möglinger Straße 4

Lydia Würth wurde am 15. Juni 1896 in Pflugfelden geboren. Die Familie wohnte in der Möglinger Straße 4. Sie war das vierte von zehn überlebenden Kindern. Die Familie war sehr arm, der Vater war Tagelöhner.

Im Alter von zwei Jahren erkrankte Lydia an einer Lungenentzündung. Eine geistige Beeinträchtigung hatte sie nach ärztlicher Meinung von Geburt an. Sie lernte sie erst mit zwei Jahren Stehen und Gehen und mit vier Jahren Sprechen.

In Pflugfelden wurde sie 1903 eingeschult und konnte nach mehr als einjährigem Schulbesuch, laut einem Bericht des Oberamtsarztes Zeller, im Oktober 1904 an den Fingern nur bis sechs richtig zählen. Oberamtsarzt Zeller diagnostizierte, dass Lydia „im mäßigen Grade schwachsinnig“ sei. Sie sei aber gutmütig und in einer Anstalt bildungsfähig. Körperliche Einschränkungen hatte Lydia Würth keine.

Im Mai 1905 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Gärtnerhaus aufgenommen. Dort besuchte sie die Schule. Mit 14 Jahren wurde sie wohl ausgeschult. Sie half  beim Putzen und anderen Hausgeschäften. Lydia arbeitete wohl gerne und wurde als gute „Schafferin“ geschätzt.

1916 wurde Lydia Würth in die Landesarmenanstalt Markgröningen eingewiesen. Diese war wesentlich billiger als die Stettener Anstalt. Das Leben in Markgröningen während des ersten Weltkrieges und in den Jahren danach war hart.

Am 7. August 1940 wurde Lydia Würth in Grafeneck ermordet. Mit 74 weiteren Frauen hatten „graue Busse“ sie dorthin verfrachtet. Nach ihrer Ankunft dort musste sie sich wie die anderen Opfer ausziehen. Unter dem Vorwand des Duschens wurde Lydia Würth dann im Vergasungsraum ermordet. Das Vergasen der Opfer dauerte 20 Minuten und war für sie, wie für alle Opfer, ein qualvoller Kampf mit dem Tod.

Marc Haiber

Elsa Rabus

Der Staat als Lügner und Mörder

Solitudeallee 12

Elsa Rabus wurde am 10. Mai 1904 in Lauben im Bezirksamt Memmingen geboren. Sie blieb ledig und wohnte abwechselnd bei einem ihrer 15 Geschwister, die sich für sie verantwortlich fühlten. Zeitweise verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Arbeiterin oder als Dienstmagd. Ab 30. August 1937 wohnte Elsa für ein paar Wochen in der Solitudeallee 12 bei ihrer Schwester Mathilde.

Am 11. Oktober wurde Elsa in die Anstalt Weinsberg aufgenommen. Die Diagnose lautete: „angeborener Schwachsinn und Epilepsie“. Elsas Neffe kann sich nicht erinnern, dass seine Tante hilfsbedürftig und schwachsinnig gewesen wäre. Er erlebte sie als einen ganz ruhigen, in sich gekehrten und traurigen Menschen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde Elsa Rabus in Weinsberg zwangsweise sterilisiert. Am 4. Juni 1940 wurde sie aus der Anstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt Grafeneck verlegt, wo sie noch am gleichen Tag in der Gaskammer ermordet wurde. Ihr Körper wurde dort im Verbrennungsofen eingeäschert.

Der Familie wurde später eine Urne zugestellt, die, wie es in diesem Zusammenhang üblich war, sicherlich nicht die Asche Elsas enthielt. Zur Verschleierung der tatsächlichen Todesumstände war im Begleitschreiben als Todesursache frei erfunden Lungenentzündung und als Sterbeort Ulm angegeben.

Die Urne wurde im Grab von Elsas Mutter beigesetzt.

andreas nothardt

Albert Eckert

Staatlicher Mord an einem Eisenbahner

Leonberger Straße 19

Albert Eckert wurde am 23. März 1873 in Stuttgart geboren. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm nach Ludwigsburg, wo sie als Näherin bei der königlichen Garnisonsverwaltung arbeitete.

Er besuchte zunächst die Elementarschule und dann die Humanistische Anstalt, wo ihm mit 16 Jahren das Qualifikationszeugnis für den einjährigen Militärdienst ausgehändigt wurde. Im August 1889 schrieb er ein Gesuch an die Hohe Königliche Generaldirektion der württembergischen Staatsbahn, in dem er erfolgreich um die Aufnahme als Eisenbahnpraktikant bittet. 1897 erkrankte er dann an hochgradiger Nervosität. Am 18. Mai 1898 wurde Albert Eckert trotzdem zum Eisenbahnpraktikant erster Klasse befördert. In seinem dienstlichen Zeugnis wird ihm die persönliche Tüchtigkeit für den erstrebten Dienst bescheinigt.

Aber in den folgenden Jahren war er immer wieder dienstunfähig, da er öfters an geistigen Störungen litt. Er stellte selbst fest, dass „seine Gehirntätigkeit den Anforderungen seines Berufes nicht mehr genügte“. Im Juni 1907 wurde er aus dem Dienst entlassen. Drei Jahre später wurde er in die Heil- uns Pflegeanstalt Pfullingen eingewiesen.

Die Diagnose lautete Schizophrenie und paranoide, halluzinatorische Demenz. Im Februar 1922 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Weissenau verlegt, von wo er am 9. September 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert wurde. Dort wurde er noch am gleichen Tag ermordet.

andreas nothardt

Erich Mezger

Einem Kind wird das Leben verwehrt

Wilhelmstraße 49

Erich Mezger wird am 5. November 1927 in Ludwigsburg in der Wilhelmstrasse 49 (im Hinterhaus) geboren. Schon kurz nach seiner Geburt hat er schwere gesundheitliche Probleme, er entwickelt sich sehr schlecht, kann kaum laufen und nicht sprechen. 1932 verbringt er vier Wochen im Ludwigsburger Krankenhaus, wo er wegen seiner Krampfanfälle und seines allgemein schlechten Gesundheitszustands behandelt wird.

Am 3. Dezember 1932 wird er durch Vermittlung des Ludwigsburger Jugendamtes in der Heil-und Pflegeanstalt Stetten im Remstal aufgenommen. Aus den Berichten der dortigen Schwestern geht hervor, dass Erich keine Fortschritte macht und als schwerstbehindertes Kind intensiv gepflegt werden muss.

Am 1. September 1940 leben 769 Bewohner in der Anstalt Stetten. In den folgenden Tagen werden zuerst die bettlägerigen Kranken „verlegt“. Insgesamt 324 Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer und ältere Menschen werden von dort mit den „Grauen Bussen“ nach Grafeneck gebracht, wo sie noch am selben Tag ermordet werden.

Nach Auskunft der Gedenkstätte Grafeneck wird Erich Mezger am 13. September 1940 von Stetten nach Grafeneck gebracht und wird dort – noch nicht ganz 13 Jahre alt – sofort ermordet.

Die Familie von Erich Mezger lebt zu dieser Zeit schon lange in der Unteren Kasernenstrasse 15. Der Vater Christian Mezger stirbt am 10. Januar 1946 in französischer Kriegsgefangenschaft in Aix-les-Bains. Die Mutter stirbt am 31. Oktober 1967 in Ludwigsburg. Die Halbschwester lebt noch 1966 in der Psychiatrischen Landesanstalt in Winnenden und ist offenbar kinderlos geblieben. Der Bruder Hans (*1931), der den Unterlagen zufolge eine Schreinerlehre absolviert hat und später als Maler arbeitet, war zweimal verheiratet. Nachkommen gibt es offenbar nicht. Hans Mezger stirbt 1980 in Ludwigsburg

Gisela Scharlau