Februar 2010: Der Stand der Dinge

Stand der Stolpersteine in Ludwigsburg
im Februar 2010

ALLGEMEINES: Die Suche nach Geschichten über Menschen aus Ludwigsburg, die während der Nazi-Herrschaft verfolgt und ermordet wurden, ist einerseits ein riesiges und oft steiniges Feld. Dass wir dabei auf ganz verschiedene Quellen von unterschiedlicher Tiefe und Qualität zurückgreifen können, ist Teil dieser Suche: Über viele jüdische Opfer des NS-Terrors beispielsweise befinden sich in Joachim Hahns Buch „Jüdisches Leben in Ludwigsburg“ hervorragende Hinweise, über Menschen in politischer Gegnerschaft zu den Nazis hat in den Jahren nach der Befreiung die VVN-BdA Informationen mit bisweilen schwer nachvollziehbarem Gehalt veröffentlicht, über Menschen mit seelischer oder geistiger Krankheit sind die Quellen häufig sehr schlecht. Wer als Kriegsgegner hingerichtet und auf einem Soldatenfriedhof bestattet wurde, wird unter Umständen von der eigenen Familie als gefallener Soldat und nicht als Gegner des Unrechts-Regimes eingeschätzt. Und so weiter und so weiter: Die Treffen der Ludwigsburger Stolperstein-Initiative bringen immer wieder spannende, oft traurige, bisweilen ratlos machende Recherche-Ergebnisse auf den Tisch.

Eine weitere Besonderheit der Gespräche mit mehr oder weniger streng geführter Tagesordnung: Oft geraten wir weit über den Rand der eigentlich Stolperstein-bezogenen Dinge hinaus. Denn das Kunstprojekt „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig kann nur mit möglichst präzisen Regeln funktionieren – und eine der Grundregeln ist dabei, dass Stolpersteine an Menschen erinnern, die ermordet wurden. Ausnahmen macht der Künstler bisweilen bei Angehörigen von Mord-Opfern, die der Tötungswut entronnen sind. Eine andere Stolperstein-Regel ist es, sich ausschließlich auf Menschen zu beziehen, die in der betreffenden Stadt ihren „letzten freiwillig gewählten Wohnort“ hatten. Das klingt ein wenig bürokratisch, hat aber letztlich guten Sinn dabei, über den geeigneten Platz für eine Stolperstein-Verlegung zu entscheiden.
Auch wenn Gunter Demnig einen möglichst und menschennahen und sachdienlichen Umgang mit den von ihm aufgestellten Regeln praktiziert – viele Geschichten, die ebenfalls zur alltäglichen Geschichte in unserer Stadt gehören, passen nicht in das Stolperstein-Muster: Es wirkt makaber – wer überlebt hat, bekommt keinen Stolperstein. Wer nicht hier zu Hause war, auch nicht. Von Anfang an ist vielen Aktiven in der Initiative wichtig, auch diese anderen Geschichten zu sammeln und zugänglich zu machen: Verfolgte, die mit dem Leben davon kamen. Gefangene, die hierher gebracht und hier ermordet wurden. Natürlich war das Leben auch unter der Zwangsherrschaft mit allen, die an ihr Teil hatten und mit allen, die unter ihr litten, sehr vielfältig. Und wer die Geschichte angemessen aufbereiten will und sie gar verstehen und aus ihr lernen können will, der muss auch möglichst viele der Nuancen kennen.

All diese Überlegungen sitzen immer wieder mit am Tisch, wenn Stolperstein-Interessierte zusammenkommen (und selbst das ist ja keine feste Gruppe, sondern bei aller Kontinuität ein sehr erfreulich offener Haufen). Teilweise sind Stolperstein-Aktive auch im Arbeitskreis Synagogenplatz engagiert, der sich bemüht, für diesen Platz eine verbesserte Gestaltung und einen angemessenen Umgang mit möglichst vielen Interessierten zu diskutieren und zu entwicklen – und auch hier wird logischer Weise immer wieder klar, dass die Fragen nicht auf den wenigen Quadratmetern des Synagogenplatzes enden sondern weit in die Stadt hineinreichen.
Wie wir mit diesen Gedanken auf Dauer umgehen, wird zu überlegen sein. Ob diese ganz speziellen Initiativen ein gemeinsames Dach brauchen, um Überlegungen und Wissen, aber auch Energie und Tatkraft gut zu bündeln, gilt es zu bedenken – Vorbilder könnten die thematisch breiter aufgestellten Zusammenschlüsse von Interessierten sein, die unter Namen wie „Geschichtswerkstatt“ auftreten
.
Ein gutes Beispiel für die Vielfältigkeit der Quellen und ihrer möglichen Auswertung lieferte beim letzten Stolperstein-Treffen im Februar 2010 die Liste der Gefangenen und KZ-Häftlinge aus der Nazizeit, die von der amerikanischen Militärbehörde angelegt wurde. Walter Mugler, der die Liste im Staatsarchiv bearbeitet hat, fand darin ganz unterschiedliche Schicksale mehr oder weniger erkennbar aufgelistet. Opfer und Angehörige, Ermorderte und und Geflohene, Nazi-Gegner oder auch einer, die sich um Rentenansprüche geprellt fühlte und dann wegen Beleidigung und Erpressung des behandelnden Arztes verurteilt wurde. Inzwischen hat Gottfried Pampel einen Teil der Namen aus dieser Liste näher überprüft und dabei Hinweise gegeben, wo sich womöglich Biografien für Stolperstein-Recherchen darunter befinden. Diese Liste mit Informationen, zu denen es vielfach keine Quellenangaben gibt, verträgt noch viel Recherche und Überlegungen…

PLANUNG 2010: Unabhängig von der allgemeinen Diskussion über Informationen und ihre Bewertung macht sich die Ludwigsburger Stolperstein-Initiative daran, neue Geschichten vorzubereiten, auf deren Grundlage es dann im Herbst des Jahres wieder weitere Stolpersteine in der Stadt geben soll. Neu ist in diesem Jahr, dass sich am Goethe-Gymnasium eine AG gebildet hat, die von Geschichtslehrer Uwe Jansen betreut wird. Diese will sich zunächst auf zwei Punkte in der Nähe ihrer Schule konzentrieren:

Albert Imle, Alleenstraße 19
Salomon und Fanny Kusiel, Seestraße 50
Weitere mögliche Stolpersteine sind im Gespräch für
Salomon und Julie Kaufmann, Mathildenstraße 8;
Kaufhaus Grumach in der Kirchstraße 1, Ecke Wilhelmstraße
Julius Schmal, Bahnhofstraße 29
Rechtsanwaltspraxis Myliusstraße 9
Hermann, Sarah (doer Selma) und Rosa Katz, Mörikestraße 14
Schuhgeschäft Körnerstraße 8
Melanie Adler – Hausangestellte. Bisher wenig konkrete Infos
Siegmund Meyer, Richard-Wagner-Straße 1
Regina, Emma und Frieda Laupheimer, Holzmarkt 6
Emma Laupheimer als Inhaberin der Firma Stöhr,
„Einzelhandel in Manufakturwaren und Aussteuerartikeln“
Jenny Henle, Myliusstraße 6

Noch nicht weiter gediehen sind Recherche-Ansätze zu einem „Wehrkraftzersetzer“ und zu Männern, die möglicherweise wegen Homosexualität verfolgt wurden.

Inzwischen hat die Druckerei der Ludwigsburger Kreiszeitung, Ungeheuer + Ulmer, zugesagt, 2.500 Infoblätter über den aktuellen Stand der Stolpersteine in Ludwigsburg mit ingesamt 25 verlegten Steinen zu drucken, ohne uns Kosten zu berechnen.