Karl August Ebel

„Vergessene“ Opfer der NS-Diktatur

Gartenstraße 17

Karl August Ebel wurde am 8. März 1895 geboren. Seine Geburt wurde im Rathaus Münster, wo damals die Gemeindeverwaltung saß, vom Standesbeamten am 12.3.1895 beurkundet. Karl wuchs als vierter und jüngster Sohn in der Guckelmühle im Laubustal in Weyer in der preußischen Provinz Hessen-Nassau auf. Heute ist Weyer ein Ortsteil von Vilmar im Kreis Limburg-Weilburg. Die hügelige Gegend wird im Norden vom Lahntal, im Süden und Osten vom Taunus und im Westen vom Limburger Becken umrahmt. Weyer gehörte damals zu den reicheren Gemeinden. Am Laubusbach waren aufgrund seines starken Gefälles mehrere Mühlen errichtet worden, u.a. auch die vom Vater Adam Ebel betriebene Guckelmühle.

Zu Zeiten der Geburt von Karl Ebel war dies ein großes Anwesen, zu dem neben der eigentlichen Mühle auch eine Landwirtschaft und eine Bäckerei gehörten. Die Räume im Wohnbereich seien groß gewesen und die Familie galt als wohlhabend. Dies drückt sich auch in einer Anekdote aus, nach der die Mutter Elisabeth Anna, geborene Hasselbach allmorgendlich frisches Kaffeewasser vom Brunnen holen ließ. Die Bäckerei lieferte mit Pferdewagen Brot bis in die Nachbarorte aus und die Weyrer kamen zum Backen ihrer Kuchen in die Guckelmühle. Außerdem war die Mühle auch ein sonntägliches Ausflugsziel.

Karl war gerade erst zehn Jahre alt, als sein Vater 1905 starb. Seine beiden noch lebenden älteren Brüder waren 24 und 27 Jahre. Die Mühle wurde verkauft und nach einer Fotografie aus dem Jahre 1906 (Schriftzug am Haus: „Sommerfrische zur Erholung – Besitzer: Adam Ebel Wwe. – Ausschank alkoholfreier Getränke) wurde das Ausflugslokal durch seine Mutter weiterhin betrieben.

 

Quelle: Heimatbuch 1200 Jahre Weyer

Zwar hatte Weyer eine bis ins Mittelalter zurückreichende Bergwerkstradition – allein auf der Gemarkung Weyer waren auf 17 Feldern Eisenstein, Dachschiefer, Ton und Buntmetalle  gewonnen worden. Aber bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der weitere Abbau zu aufwendig geworden und immer wieder unterbrochen worden. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Bemühungen, die Bergwerke in Gang zu bringen und ausbeutbare Gesteinsschichten zu erschließen, eingestellt.

Ab 1840 sind dann etliche Weyrer nach Amerika ausgewandert. Die Einwohnerzahl von Weyer war nach einem Höchststand von fast 1000 im Jahr 1865 bis 1910 auf ca. 750 stark und im Weiteren bis 1930 auf ca. 700 abgesunken. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage in der Landwirtschaft, die die Wirtschaft dominierte, wanderten viele Menschen aus Weyer ins Ruhrgebiet aus. Neben der Landflucht trugen auch die Folgen des Ersten Weltkrieges zu dieser Abwanderung bei.

Karl Ebel hat im 1. Weltkrieg ab 18.08.1914 als Unteroffizier gekämpft. Als Soldat der 1. Ersatzkompanie Pionierbataillon 16 Metz, 28. Reserve Division ist von ihm ein Aufenthalt im Kriegslazarett 34 in Sedan Station Colbert III vom 12.05. bis 22.07.1918 registriert. Danach wurde bis zum 31.07.1918 ins Kriegslazarett nach Caquettes/Sedan verlegt und anschließend als „kriegsverwendungsfähig“ wieder zur Truppe entIassen. Nach Kriegsende hat der Kaufmann Karl Ebel irgendwann sein Heimatdorf Weyer verlassen. Was dazu der Auslöser war, lässt sich nicht mehr ermitteln.

Gesichert ist, dass es Karl August Ebel nach Württemberg zog; allerdings blieb er nie lange an einem Ort. Er war vom 19. August 1930 bis zum 17. Februar 1932 als Kaufmann und Fotograf in Ebingen in der Langestraße 36 im III. Stock gemeldet. Allerdings ist er bereits ab 4. Februar 1932 aus Ebingen kommend in Ludwigsburg in die Leonberger Straße 32 gemeldet, wo in der damaligen Zeit wohl ein Übernachtungsheim für Ledige war. Möglicherweise war er bereits von Ebingen nach Ludwigsburg abgereist, als ihn sein Vermieter abgemeldet hatte. Bereits am 16.2.1932 meldete er sich von Ludwigsburg nach Stuttgart ab. Die nächste Anmeldung in Ludwigsburg ist „aus (Stuttgart-)Cannstatt kommend“ am 1. Februar 1936 in der Hospitalstraße 17. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten gab es zu dieser Zeit in Stuttgart in der „Herberge zur Heimat“ und Wanderarbeitsstätte in der Tunzhoferstr.8 sowie die Volksgaststätte Reeffhaus, „Herberge und Ledigenheim“ in der Gerberstr. 2A und B. In Bad Cannstatt betrieb der CVJM eine Gaststätte und Herberg „Wartburg“ in der Brunnenstraße 49. Die Meldekarteien im Stadtarchiv Stuttgart, die ggf. darüber Auskunft geben könnten, sind aufgrund der massiven Bombenschäden im 2. Weltkrieg größtenteils vernichtet worden. Unter den wenigen noch vorhandenen ist Karl Ebel nicht verzeichnet.)

Am 8. August 1936 erfolgte die Abmeldung von Karl Ebel in Ludwigsburg mit dem Vermerk: „neuer Wohnort unbekannt“. Am 26. 3.1937 starb seine Mutter Elisabeth in Weyer. Einen Monat später war er laut Eintrag des Gerichtsgefängnisses Ludwigsburg wegen Hausfriedensbruch vom 21. 4. bis 5.5.1937 „nachmittags um 14.55 Uhr“. in Untersuchungshaft. Am 7. 7.1937 war er offiziell „von Reisen“ zurück in Ludwigsburg und wohnte wieder in der Leonberger Straße 32 bis zum 26. Oktober. Dann meldete er sich endgültig mit unbekanntem Wohnsitz ab.

Am 27. Juni 1938 wurde Karl Ebel unter der Häftlings-Nr. 17564 im KZ Dachau registriert und im Block 17/B untergebracht. Weitere 200 Mithäftlinge, überwiegend aus Süddeutschland, kamen an diesem Tag nach Dachau. Als Haftgrund wurde >AZR< (=„Arbeitszwang Reich“) bzw. >AZRJ< (= „Arbeitszwang Reich, Jude“) vermerkt, nur vier Personen waren sog. Schutzhäftlinge. Außer Karl Ebel wurden an diesem Tag in Ludwigsburg mindestens zwei weitere ledige Männern verhaftet: Georg Bärthlein, ein 30jähriger Maler und Anstreicher sowie Josef Michelbacher, ein 32 jähriger Erdarbeiter. Bei allen drei ist als Verhaftungsgrund AZR vermerkt und als letzter Wohnort Ludwigsburg, Ernst-Weinstein-Straße 17 – wie die Gartenstraße ab 1936 nach einem in Stuttgart erschossenen NS-Veteranen umbenannt wurde.

Quelle: Stadtarchiv LB

In diesem Gebäude war am 1. Oktober 1909 in der „Herberge zur Heimat“ eine sog. „Wanderarbeits-stätte“ eröffnet worden. Sie diente mittellosen Wanderern als Übernachtungsmöglichkeit. Wer keine Ausweispapiere hatte, wurde ins sog. Spital in der Talstraße verwiesen (das Gebäude ist heute Sitz der AWO). Wer nicht arbeiten konnte oder wollte, musste die Herberge nach 2 Übernachtungen wieder verlassen. 1925 wurde der Neubau des Hintergebäudes beschlossen und im 1. Stock desselben ein Christliches Hospiz (Hotel mit Gaststätte) mit 10 Zimmern und 18 Betten eingerichtet. Außerdem wurde ein „Kosttisch“ für 60-70 Menschen und in der Herberge zur Heimat 40 Betten bereitgehalten, was vom Evangelischen Verein Ludwigsburg betrieben wurde. Dem Verein wurde der Vertrag zur Wanderarbeitsstätte vom Kreis zum 1.4.1938 gekündigt und es war vorgesehen, die Wanderarbeitsstätte ins Obdachlosenheim zu verlegten. Hier hatten im April 1938 noch 92 Wanderer mit 145 Verpflegungstagen übernachtet.

 

Im Stadtarchiv Ludwigsburg findet sich statt der Meldekartei in der Gartenstraße 17 nur einen Handzettel mit der Aufschrift „siehe besonderer Ringordner“ – und dieser Ringordner wurde wohl bei Übergabe der Kartei ans Stadtarchiv von niemand als archivwürdig erkannt, so dass heute die konkrete Belegung der Gartenstraße 17 nicht mehr nachvollziehbar ist.

Arbeitslose Wanderer, Wanderarme, Landstreicher, Vagabunden, Nichtseßhafte, Bettler – die Bezeichnungen für wohnsitzlose Menschen waren so vielfältig wie die Ursachen für ihre schlechte soziale Lage. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise waren mehrere hunderttausend Wanderer unterwegs

Eigentlich war in der Weimarer Republik jede Gemeinde verpflichtet, Wohnsitzlose zu versorgen. Bereits Mitte Juli 1933 ergriff der Reichspropagandaminister die Initiative für eine umfassende Bekämpfung des sog. „Bettelunwesens“ und ließ entsprechende Pressmitteilungen veröffentlichen. Die Wohlfahrtsverbände Caritas (für die katholische Kirche) und Innere Mission (für die evangelische Kirche) wurden im August 1933 vom Innenministerium über die geplanten Razzien unterrichtet, man war sich der Loyalität dieser Verbände sicher.

Vom 18. -25. September 1933 wurden dann allein in Württemberg fast 5000 Menschen verhaftet und wegen Bettelei und Landstreicherei mit Haft bis zu 6 Wochen bestraft. Viele von ihnen hatten bereits Vorstrafen wegen dieser oder anderer Delikte der Armen wie z.B. Diebstahl, Betrug, Prostitution.

Das offen geäußerte Ziel der nationalsozialistischen Sozial- und Gesundheitspolitik war die sog. „rassische Erneuerung“ des deutschen Volkes. Deshalb sollte der „arische Volkskörper“ von Juden und Zigeuner befreit und Erbkrankheiten und Minderwertige „ausgemerzt“ werden – wie es hieß.

Erklärter Feind waren die nicht oder eingeschränkt Leistungsfähigen. Im Denken der Nazis war der sog. „arbeitsscheue Asoziale“ der Antityp der Volksgemeinschaft. „Asozialität“ sei vererbbar und zeige sich in „asozialen Sippen“, die von der Vermehrung ausgeschlossen werden müssten. In Fachdiskussionen wurden offen Zwangssterilisationen von Wohnungslosen propagiert.

Die Wanderfürsorgeverbände begrüßten das schärfere Vorgehen gegen die Wohnungslosen. Am 27. August 1936 verhängte der württembergische Innenminister den Zwang, ein Wanderbuch mit sich zu führen. Gleichzeitig wurden die Wohnsitzlosen gezwungen, bestimmte sog. Wanderstraßen zu benutzen.

Basis dafür war der „Grundlegende Erlaß über die vorbeugende Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ (14.12.1937). Am 4.4.1938 hatte das Reichskriminalpolizeiamt eine detaillierte Definition der Personengruppe „Asoziale“ vorgelegt. Das wäre z.B. ein Mensch der „gemeinschaftswidrig […] sich nicht in die Gemeinschaft einfügen will“, wie z.B. „Personen, die durch geringfügige, aber sich immer wiederholende Gesetzesübertretungen sich der in einem nationalsozialistischen Staat selbstverständlichen Ordnung nicht fügen wollten“. Explizit wurden u.a. Personengruppen wie Bettler, Landstreicher und Menschen ohne festen Wohnsitz benannt. Daraufhin führte die Gestapo eine erste, kleinere Razzia im Frühjahr 1938 durch.

Diese einmalige Gestapo-Aktion führte reichsweit zu 2000 Verhaftungen. In der Sommer-Aktion (Juni 1938) griff das Reichskriminalamt zu. Am 1.6.1938 sandte Heydrich als Chef der Sicherheitspolizei (Kripo und politische Polizei) einen streng vertraulichen Schnellbrief an die Kriminalpolizeileitstellen des Reiches. Darin erklärte er, dass jede von ihnen vom 13.-18.6.1938 „mindestens 200 männliche arbeitsfähige Personen (asoziale) in polizeiliche Vorbeugungshaft zu nehmen“ habe, wobei u.a. Personen, die durch Straftaten wie Hausfriedensbruch aufgefallen waren, ausdrücklich benannt wurden. Diese zweite, reichsweite Aktion durch die Kriminalpolizei wurde im Juni 1938 durchgeführt, wobei Kriminalpolizeibeamte meist in den frühen Morgenstunden Nachtasyle oder Herbergen zur Wanderfürsorge durchsuchten.

In diesen zwei Verhaftungswellen, die als „Aktion Arbeitsscheu Reich“ bezeichnet wurden, verloren Tausende von arbeitslosen Wohnsitzlose, aber auch Sinti und Roma, mittellose Alkoholkranke, Zuhälter und Personen, die mit der Zahlung ihrer Alimente im Rückstand waren, ihre Freiheit. Viele von ihnen waren fassungslos und verstört über ihre plötzliche Verhaftung.

Es waren ganz unterschiedliche Menschen, die von den Nationalsozialisten unter dem Sammelbegriff „Asoziale“ in die KZs verschleppt wurden und dort einheitlich den schwarzen Winkel an die Häftlingskleidung erhielten. Wohnungslose hatten unter ihnen den größten Anteil. Da die drei in der Gartenstraße 17 Verhafteten bereits mit NS-Gesetzen in Konflikt geraten waren, ist davon auszugehen, dass die Verhaftungen im Rahmen sogenannten Aktion „Arbeitsscheu Reich/Asoziale“ 1938 durchgeführt wurden.

In den Wochen nach diesen Razzien wurde der Umgang mit ihnen in die Verwaltungsroutine vieler Kommunen überführt: missliebige Klienten der Sozialämter wurden offen mit Formularen in Vorbeugehaft der Kripo genommen und von dort in die KZs geschickt. Bis Kriegsende blieb die Kripo – nicht die Gestapo – federführend bei den Verhaftungen der von den Nazis sogenannten „Asozialen“.

Diese Häftlingsgruppe war bis dahin in den KZs unbekannt und bis zu den November-pogromen 1938 gegen die Juden wurde diese Häftlingsgruppe vorrübergehend die größte (Schätzungen zufolge bis zu 70%) in den KZs. Für die SS-Wachmannschaften war diese Häftlingsgruppe bis zum massenhaften Eintreffen der Juden in den KZs auf der untersten Stufe der Häftlings-Hierarchie und wurde von ihnen auch entsprechend behandelt. Unter denen, die bei den württembergischen Aktionen 1938 ins KZ transportiert wurden, waren die meisten gelernte Handwerker oder Fabrikarbeiter – also überwiegend aus dem Arbeitermilieu. Einige wenige wurden wieder aus dem KZ entlassen, unter anderem Georg Bärthlein, einer der drei am 27. Juni 1938 in Ludwigsburg Verhafteten. Er wurde am 28.4.1939 anlässlich der Amnestie zum 50. Geburtstag von Hitler wieder aus dem KZ Dachau entlassen. Dies geschah zum Teil, weil sie zum Wehrdienst gebraucht wurden. Andererseits geht man davon aus, dass bei den sogenannten „Asozialen“ bis zum Beginn des 2. Weltkrieges die höchste Todesrate in der KZs herrschte. Die Hauptursachen dafür waren Hunger, Erfrieren, Erschießen oder Folgen von Mißhandlungen.

Nach der Aufnahme im KZ Dachau findet sich die nächste Spur von Karl August Ebel in der Zu/Abgangsstelle des KZ Mauthausen, das nahe der Stadt Linz in Österreich liegt. Hierhin wurde Karl August Ebel überführt und am 9. Mai 1939 mit der Häftlingsnummer 1271 registriert. Das KZ Mauthausen war neben Flossenbürg im Sommer 1938 als neues Konzentrationslager gegründet und errichtet worden. Beide dienten dazu, die für die geplanten „Führerbauten“ notwendigen Stein- und Tonmengen aus den Steinbrüchen zu liefern. In Mauthausen (und im Nebenlager Gusen) waren Granitsteinbrüche. Zwangsarbeit in Steinbrüchen galt als besonders schwere Strafe und deshalb sollten vorbestrafte und „asoziale“ Insassen in die KZs mit den schlimmsten Arbeitsbedingungen geschickt werden. Mauthausen war ein Konzentrationslager der Kategorie III, das bedeutete Vernichtung durch Arbeit. Die Ernährung in Mauthausen bestand aus: 0,5 Liter Ersatzkaffee (schwarz, ohne Zucker), selten die gleiche Menge Extraktsuppe am Morgen – 1 Liter Steckrübeneintopf (=Futterrüben, etwas Kartoffeln und angeblich 25 g Fett und Fleisch) mittags und 330 g Brot und 250 g Wurst, selten statt der Wurst 250 g Margarine. Damit hatte das Essen etwa 1450 Kalorien – bei der schweren körperlichen Arbeit im Steinbruch wären 4500 Kalorien notwendig gewesen.

Am Sonntag, den 24.9.1939 um 7.15 Uhr starb der Häftling Karl Ebel im Konzentrationslager Mauthausen – einer von 28, die in diesem September im KZ Mauthausen starben. Der diensthabende SS Obersturmführer Dr. Becker führte die Leichenschau durch: Karl Ebel soll an einer eitrigen Bronchitis und doppelseitigen Lungenentzündung gelitten haben, bis er an einem Lungenabszess starb. Laut Totenschein war er ledig, evangelisch, 34 Jahre und sechs Monate alt. Tatsächlich wurde Karl August Ebel, der am 8.3.1895 geboren wurde, allerdings 44 Jahre alt.

Nach den medizinischen Angaben des KZ-Arztes hätte Karl Ebel nur kurze Zeit später, nämlich ab Mitte Juli gesundheitliche Probleme gehabt. „Tod durch Arbeit“ war das Ergebnis der unmenschlichen mörderischen Arbeit in den nahegelegenen Steinbrüchen des KZ.

Verwendete Quellen:

Standesamt Gemeinde Selters (Taunus)

Standesamt Münster Geburtsnebenregister 1895, HStAM, Bestand 912, Nr.4362

Standesamt Münster, Sterbenebenregister 1905, HStAM Bestand 912, Nr. 4456
Bundesarchiv Bestand B578 Krankenbuchlager, B578/46670, S. 097 und B578/46686, S. 009
Adressbücher mehrere Jahrgänge und Meldekartei, Stadtarchiv Ludwigsburg

Meldekartei, Stadtarchiv Albstadt

Adressbücher mehrere Jahrgänge ,Stadtarchiv Stuttgart

Verzeichnis der Untersuchungsgefangenen, StALB E 356 d II_Bd 40

Oberamt Ludwigsburg, StALB PL413, Bü 33

Bekämpfung von Bettel und Landstreicherei, 1913-1937, StALB PL 413, Bü 294

Oberamt Ludwigsburg (in Ludwigsburg), PL 413, Bü 33

Regelung des Wandererwesens 1936 -1944, HStA Stgt E 151(09, Bü 481

Bekämpfung von Bettel und Landstreicherei HStA Stgt PL 413 Bü 294

Bekämpfung des Wanderbettels HStA Stgt PL 413 Bü 80

Innenministerium, Abteilung IX: Wohlfahrtspflege, Jugendfürsorge, Armenwesen (Fürsorge), HStA Stgt E 151/09, Bü 485

Innenministerium, Abteilung III: Polizeiwesen, HStA Stgt E 151/03, Bü 590

Datenbank Auszug, KZ-Gedenkstätte Dachau

Schreibstubenkarte KZ Dachau, 1.1.6.7/10636495/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Listenmaterial KZ Dachau/Zugangsbuch, 1.1.6.1./ 9892433/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Listenmaterial KZ Dachau/Überstellung nach KZ Mauthausen, 1.1. 6.1/9913067/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen. und 1.1. 6.1/9913068/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Listenmaterial KZ Mauthausen, 1.1. 26.1/1292078/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Individuelle Unterlagen KZ Mauthausen, 1.1.26.3 / 1426213/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Listenmaterial KZ Mauthausen, 1.1.26.1 / 990774901/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Listenmaterial KZ Mauthausen / Totenbuch, 1.1.26.1 / 1289173/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Leichschauschein Individuelle Unterlagen KZ Mauthausen, 1.1.26.3/1426214/ ITS Digital Archive, Bad Arolsen.

Verwendete Literatur:

Ayas, Wolfgang: „Ein Gebot der nationalen Arbeitsdisziplin“, Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ 1938, in: Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 6, Berlin 1988, S. 43-74

Ayas, Wolfgang: „Asozial“ und „gemeinschaftsfremd“. Wohnungslose in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, in: Wohnungslos 3/04

Ayas, Wolfgang: „ Gemeinschaftsfremde“. Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933 -1945, Koblenz 1998

Ayas, Wolfgang: „Asoziale“ – die verachteten Verfolgten in: Dachauer Hefte 14. „Verfolgung als Gruppenschicksal“, 14. Jg. 1998, Heft 14

Ayas, Wolfgang: Wohnungslose im Nationalsozialismus. Begleitheft zur Wanderausstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V., Bielefeld 2007

Erhardt, Klaus Dieter: Die Mühlen in Weyer in: (Red. Karl Ludwig Bleicher … ) Zsgst. Vom Ausschuß für Historie, Öffentlichkeitsarbeit und Presse Weyer: Heimatbuch zur 1200 Jahrfeier, S. 201 ff

Hörath, Julia: “Asoziale“ und „Berufsverbrecher“ in den Konzentrationslagern 1933 bis 1938, Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft  – Band 222, Göttingen 2017
Klum-Roth, Dorothee: Einwohnerzahlen und Bevölkerungsentwicklung in Weyer in: (Red. Karl Ludwig Bleicher … ) Zsgst. Vom Ausschuß für Historie, Öffentlichkeitsarbeit und Presse Weyer: Heimatbuch zur 1200 Jahrfeier, S.58 ff

Kolata, Jens: Die Aktion „Arbeitsscheu Reich“ in Württemberg und Hohenzollern. Eine Verhaftungsaktion aus regionaler Perspektive, in: Becker, Michael/ Bock, Dennis/ Illig, Henrike (Hrsg.): Orte und Akteure im System der NS-Zwangslager, Berlin 2015, S.118 -141
Kolata, Jens: Zwischen Sozialdisziplinierung und „Rassenhygiene“. Die Verfolgung von „Asozialen“, „Arbeitsscheuen“, „Swingjugend“ und Sinti, in: Bauz, Ingrid/Brüggemann, Sigrid/ Maier, Roland (Hrsg.) Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 2013, S.321-337
Österreichische Lagergemeinschaft Mauthausen: Kurzgeschichte der Konzentrationslager Mauthausen und seiner drei größten Nebenlager Gusen, Ebensee und Melk, Wien o.J.
Wachsmann, Nikolaus: KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bonn 2016 , S. 166 – 187
Weinmann, Martin (Hrsg.): Das nationalsozialistische Lagersystem (CCP), Frankfurt 1990, S. 375
Wolter, Karl Dietrich: Bergbau in der Gemarkung Weyer in : (Red. Karl Ludwig Bleicher … ) Zsgst. Vom Ausschuß für Historie, Öffentlichkeitsarbeit und Presse Weyer: Heimatbuch zur 1200 Jahrfeier, S. 30 ff

Recherche: Walter Mugler

Lina Peukert

Die Familie gab ihr lange Halt

Mörikestr. 2

Lina Peukert, geborene Bauer, wurde am 1. November 1887 in Neuenhaus geboren. Neuenhaus ist seit einer Gemeindereform von 1975 ein Stadtteil von Aichtal und liegt im Landkreis Esslingen. In den meisten Akten und Ämtern wird sie offiziell mit dem kurzen Namen Lina geführt. Ihr voller Name ist allerdings Karoline Friederike Peukert.

Sie war das jüngste von 12 Kindern der Familie. 5 Kindern sind schon „klein“ gestorben. Ihre Eltern waren Marie Katharine, geborene Schlecht und Ernst Ludwig Bauer. Von Beruf war er Wirt. Nachdem sie 14 Jahre alt war, arbeitete Lina Peukert in der Wirtsfamilie. Sie war wohl sehr fleißig und arbeitete viel und gut. Auch in der Schule zuvor sei sie fleißig und eine gute Schülerin gewesen. Bis zu ihrer psychischen Erkrankung 1935 war sie nach eigener und den Angaben ihrer Tochter Emilie beim Aufnahmegespräch in Weinsberg gesund, robust und hatte nur selten mal Erkrankungen (grippale Infekte…). Allerdings hatte sie 1933 eine Einweisung ins Ludwigsburger Krankenhaus aufgrund einer Basedow´sche Erkrankung mit starkem Gewichtsverlust (Autoimmunerkrankung der Schilddrüse). Zudem hatte ihr auch schon 1932 Herr Dr. Welsch vom Bezirkskrankenhaus Ludwigsburg bescheinigt, dass sie eine akute Nervenschwäche hätte und deshalb keiner Arbeit nachgehen könne.

Lina heiratete am 14. Januar 1913 den Friseur Adolf Peukert. Bereits vor der Hochzeit am 11. Dezember 1912 bekamen sie ihre gemeinsame Tochter Emilie. Lina brachte allerdings ein Kind schon mit in die Beziehung mit Adolf. Der Vater dieses Kindes ist mir unbekannt. Emilie hatte also eine ältere Halbschwester die wie ihre Mutter Lina hieß. Auch hier wir in den meisten Akten dieser Kurzname behördlich geführt. Der vollständige Name ist eigentlich Georgine Karoline. Sie wurde am 19. Mai 1911 geboren.

Linas Mann Adolf kam aus Reichenberg, dem heutigen Liberec in Nordböhmen und wurde am 11. Dezember 1893 geboren. Die Stadt gehörte nach dem 1. Weltkrieg zur Tschechoslowakei. Durch den Friedensvertrag von Trianon vom 4. Juni 1920 akzeptierte die vormalige Realunion und Doppelmonarchie Ostereich-Ungarn diesen Gebietsverlust nach dem verlorenen Krieg endgültig. Adolf Peukert wurde tschechoslowakischer Staatsbürger. Durch die Ehe war nun auch Lina Peukert keine deutsche Staatsbürgerin mehr und zumindest auch ihre Tochter Emilie bekam die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Von Emilies Halbschwester ist mir die Staatsbürgerschaft in dieser Zeit nicht bekannt.

Der 1. Weltkrieg brachte sehr viel Unglück in das Leben der Familie und diese Erfahrungen wurden als Hauptursache für die spätere psychische Erkrankung von Lina angenommen. 1 Schwester von ihr ist 39 jährig in den Kriegsjahren 1914 – 1918 an Unterernährung und Erschöpfung gestorben. Ihr Mann musste in den Krieg. Er kam wohl 1916 in russischer Kriegsgefangenschaft und kam erst 1919 zurück. Bereits 1912 ist die Familie wohl zunächst nach Osweil gezogen und 1917 dann nach Ludwigsburg. Der Grund für den Wegzug aus Neuenhaus ist mir unbekannt. In den Kriegsjahren war Lina alleine mit den 2 Kindern auf staatliche Unterstützung angewiesen. Das änderte sich in den Folgejahren dann bei Lina auch nicht mehr.

Vor dem 1. Weltkrieg sei die Ehe von Lina und Adolf gut gewesen. Ihr Mann verkraftete aber sein erlebtes Leid nicht. Er sei nach seiner Rückkehr 1919 nun nervös gewesen, behandelte seine Familie schlecht, beschimpfte diese oft und sorgte nicht für sie. Er konnte offensichtlich auch keiner regelmäßigen Arbeit mehr nachgehen. In Ludwigsburg hatte er immer wieder nur ganz kurze Anstellungen. Unter anderem beim städtischen Tiefbauamt oder aber auch mal 3 Wochen bei der Buchhandlung Aigner. Er war arbeitslos und verließ die Familie endgültig am 16. Januar 1926. Nun ging Adolf in mehrere Länder (u.a.Österreich, Schweiz, Italien). 1928 wurde die Ehe geschieden. Der Mann bekam sein Leben nicht mehr in den Griff, er starb 1929 „abgestürzt“.

Die Peukerts wohnten in Ludwigsburg in unterschiedlichen Mietwohnungen. Zuerst in der Bärenstraße 5, anschließend in der Lindenstraße 36 und danach in der Talstraße 24. Am 17. April 1923 zog man dann in die Mörikestraße 2 in ein großes Mietshaus. Die Wohnung lag später dann in der Nähe der Arbeitsstätte der Tochter Emilie und man zog deshalb auch nicht mehr um. Diese war Kontoristin / kaufmännische Angestellte. 1927 arbeitete Emilie zunächst bei der Wilhelm Bleyle oHG, allerdings in Stuttgart und nicht in der Ludwigsburger Zweigstätte. Ihr anschließender Arbeitgeber war dann die Metallwarenfabrik Wagner & Keller in Ludwigsburg.

1935 erkrankte Lina Peukert. Ihre älteste Tochter war zu diesem Zeitpunkt bereits verheiratet, lebte in Frankfurt am Main und hieß nun Karoline Glasbrenner. Mit ihrem Ehemann Albert bekam sie am 30. Juli 1933 eine Tochter.

Lina Peukert hatte Angstzustände, war selbstmordgefährdet und wurde daran gehindert, sich von einem Zug überfahren zu lassen. Zunächst war sie im Ludwigsburger Krankenhaus. Dort lief sie davon und war dann wieder zuhause. Sie schlief vor Angst nur im Bett ihrer Tochter Emilie und war auch mal bei Bekannten untergebracht. In ihrer Angst suchte sie auch Kontakt zu Emilie während derer Arbeitszeit. Emilie ging mit ihr dann zur Aufnahme nach Weinsberg. Für die Tochter war die Situation belastend. Ihrer Mutter ging es sehr schlecht und ihr Arbeitgeber verlangte keine Störungen während ihrer Arbeitszeit.

In der Heilanstalt Weinsberg wurde sie am 25. Februar 1935 eingewiesen. Der Hausarzt Dr. med. M. Grubel befürwortete mit Schreiben vom 24. Februar 1935 die Aufnahme in einer Heilanstalt aufgrund „Selbstmordgedanken“ und „Irresein“. Lina Peukert wollte das eigentlich nicht. Sie unterschrieb mit vielem Zureden die Einweisung. In den nächsten Jahren war sie immer wieder auch von Heimweh geplagt und wollte wieder nach Hause. Lina Peukert hatte blaue Augen, braune Haare, war 1,57 m groß und wog bei der Einweisung 54 Kg. Bei ihrer Entlassung aus Weinsberg 1939 wog sie 8 kg mehr und hatte inzwischen auch eine Brille.

Lina Peukert bekam Schizophrenie diagnostiziert. In den nächsten Jahren hörte sie immer wieder Stimmen, hatte Wahnvorstellungen, fühlte sich verfolgt und hatte dadurch auch an Angstzuständen gelitten. Sie war oftmals unruhig und gereizt und hatte Aggressionen in den Weinsberger Jahren. Phasenweise zog sie sich auch zurück und kam nicht aus dem Bett. In Weinsberg hatte sie häufig über das Essen geschimpft. In guten Phasen hatte sie sich in Weinsberg aber auch an der Hausarbeit beteiligt. Lina Peukert beschäftigte sich dort zudem gerne mit Handarbeiten und fühlte sich im Garten wohl. In schlechten Momenten haute sie durch diesen mehrmals ab und wurde im Ort verwirrt gefunden.

Insgesamt hat sich ihr Zustand in Weinsberg leider nicht verbessert.

Am meisten Freude bereitete ihr der Kontakt zu den Angehörigen. Vor allem ihre Tochter Emilie kümmerte sich sehr fürsorglich um sie. Ihr Handeln hatte Emilie zudem, um das Wohl ihrer Mutter, häufig mit der Anstaltsleitung abgeglichen. So fragte sie in vielen Postkarten, ob es gut ist, wenn sie ihre Mutter besuchen kommt oder ob es ihrer Mutter nicht schadet, wenn sie ihr jede Woche Briefe schreibt. Die Verantwortlichen von Weinsberg zeigten sich dabei immer sehr kooperativ und genehmigten auch Besuche außerhalb der Besuchszeiten. Für Linas Lebensqualität war wohl der Kontakt zu den Angehörigen am wichtigsten und bot ihr am meisten Halt.

Sie selbst schrieb deshalb auch viele Briefe. Manchmal hatten diese verwirrte Inhalte. Immer wieder äußerte sie in diesen Briefen den Wunsch, dass man sie doch bitte aus der Einrichtung nehme, weil sie doch grundlos hier sein müsse. Dies hatte dann mehrmals besorgte Briefe von Angehörigen an die Leitung zu folge. Verständnisvoll erklärte diese dann zum Beispiel einer Schwägerin aus Neuenhaus oder auch der älteren Tochter in Frankfurt, dass man Lina keineswegs mit gutem Gewissen in die Obhut von Verwandten entlassen könne. Ihre Tochter Lina Glasbrenner in Frankfurt verhandelte sogar auch Anfang 1937 mit dem Ludwigsburger Fürsorgeamt. Für eine Reichsmark täglich könnte sie in ihrer Frankfurter Wohnung sich um ihre Mutter kümmern. Da die Unterbringung in Weinsberg fast das Dreifache kostete, hatte das Fürsorgeamt auch nichts dagegen. Allerdings die Heilanstalt Weinsberg. Diese argumentierte, dass dies nicht zu verantworten sei und Lina Peukert blieb dann dort. Lina Glasbrenner wollte damit gut gemeint dem Wunsch ihrer Mutter nachkommen. Zudem war sie aus der Ferne sicherlich auch besorgt. Ihre Halbschwester Emilie, bisher engster Kontakt der Mutter, war nämlich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Deutschland..

Sicherlich nicht einfach für Lina Peukert war nämlich, dass Emilie heiratete und nach New York zog. Aus Fräulein Emilie Peukert wurde Mrs. Emily Jordan. Bis zum Wegzug war die jüngere Tochter die wichtigste Bezugsperson, welche sich am meisten um Lina kümmerte und sie am häufigsten besuchte. Nun hatten die beiden nur noch Briefkontakt und die Post aus Ludwigsburg kam sicherlich vor dem Umzug auch bedeutet schneller als aus Übersee. Vielleicht wurden auch deshalb ungefähr ab dieser Zeit Linas gute Zeiten immer weniger. Emily hatte den in Dublin am 16. Juni 1904 geborenen deutschen Staatsbürger Friedrich Jordan geheiratet. Erst über Calw und dann in Spaichingen wohnend, zog er am 29. Oktober 1936 mit in die Ludwigsburger Wohnung in der Mörikestraße 2. Am 3. Dezember 1936 war Hochzeit und am 31. Dezember 1936 zog der 8 Jahre ältere Notariatspraktikant mit seiner frisch vermählten Ehefrau nach New York.

In den Weinsberger Jahren zeigte sich der Nazi-Terror bei den Peukerts in unterschiedlichen Facetten. Bereits seit 1934 bemühte sich Emilie Peukert um die deutsche Staatsbürgerschaft. 1935 wurde ihr diese und ihrer Mutter verwehrt. Oberamtsarzt Holzapfel stellte einen negativen Befund aufgrund der psychiatrischen Behandlung von Lina Peukert aus. Der Nazi-Staat befürchtete den Einfall von erbkranken Menschen in den deutschen Volkskörper. Fassungslos schilderte Emilie Peukert in einem Brief an die Weinsberger Leitung die Ablehnung ihres Antrags durch den Nazi-Staat. Was könne den ihre Mutter und sie dafür, dass der erste Weltkrieg so viel Unglück über sie erbrachte. Dies habe doch ihre Mutter krank gemacht und sie selbst sei es ja überhaupt nicht. Zudem sei sie und ihre Mutter noch nie in der Tschechoslowakei gewesen. Sie könnten auch die Sprache nicht.

Zudem machte Nazi-Deutschland eine vertragliche Vereinbarung am 8. Februar 1936 mit der Tschechoslowakei. Tschechoslowakische Staatsbürger/innen müssten, wenn eine dauerhafte Anstaltsbehandlung zu erwarten sei, ausgewiesen werden. 1937 wies das Städtische Fürsorgeamt Ludwigsburg darauf hin, dass diese Regelung für Menschen mit körperlichen und geistigen Gebrechen gelte. Eine Ausnahme könne aber gemacht werden, wenn die Unterbringung lediglich altersbedingte Gründe hätte. Ob dies denn nicht vielleicht bei Lina Peukert zutreffen würde. Sie wäre doch schließlich schon 50 Jahre alt. Diesen vermutlich gutgemeinten Wink mit dem Zaunpfahl griff Weinsberg allerdings nicht auf. Der dortige Obermedizinalrat bescheinigte nach der Ludwigsburger Anfrage, dass ihre Geisteskrankheit keineswegs als Alterserscheinung aufzufassen wäre und zudem mit dauernder Anstaltspflege zu rechnen sei.

Der Ludwigsburger Oberbürgermeister Karl Frank beantragte nun am 29. September 1937 die Ausweisung aus Deutschland von Lina Peukert beim Landrat. Dieser widersetzte sich der Ausweisung, auch wenn diese seiner Ansicht nach formell richtig wäre. Er argumentierte in einem Schreiben an den Oberbürgermeister vom 2. November 1937, dass Lina Peukert „blutmäßig Deutsche“ sei. Nur durch eine unglückliche Regelung im Friedensvertrag von Trianon sei sie „Tschechin“ geworden. Seiner Meinung nach müsste bei einer Deutschstämmigen die hilfsbedürftig wird, der Gedanke der Volksgemeinschaft Gestalt gewinnen. Die Verpflichtung Volksdeutscher fremder Staatsangehörigkeit wäre doch als selbstverständlich gesetzt. Umgekehrt sei seiner Meinung nach dann aber die Volksgemeinschaft gegenüber „in Not geratenen Gliedern“ auch anzuerkennen. Erst recht im Falle von Lina Peukert. Sie hätte sich doch auch schon 1928 scheiden lassen. Offensichtlich hatte der Landrat hier moralisch und ideologisch etwas andere Ansichten als der nationalsozialistische Staat. Dieser wollte ja alles „Schwache“ und „Kranke“ zum Wohle des „Deutschen Volkskörper“ ausmerzen. Dieser ideologische Wahnsinn ermöglichte ja Grafeneck 1940.

Zwei Jahre vor der von Karl Frank versuchten Ausweisung Lina Peukerts, 1935, kam die Anfrage vom Oberamtsarzt aus Ludwigsburg nach Weinsberg, ob man die damals 48 jährige Lina Peukert nicht doch auch noch zwangssterilisieren müsste. Die Nazis wollten bei ihrem Terror nach Innen doch möglichst gründlich sein und offensichtlich gab es hierfür entsprechend willige Beamte. Weinsberg bescheinigte hier aber zugunsten von Lina Peukert.

Zudem bereite der Tochter Emilie Peukert 1935 ein zu erwartendes neues Erbtauglichkeitsgesetz Sorgen. Die Fülle an menschenverachtenden Verordnungen und Gesetze, welche die Nazis immer schneller voran trieben, waren nicht so leicht zu durchschauen und zu verstehen. Sie hatte Angst, dass sie unter dieses bald zu erwartende Gesetz falle. Kurz vor dem zu erwarteten Herauskommen eines solchen Gesetzes, wendete sie sich mit einem Brief am 4. November 1935 an einen Weinsberger Arzt. Dieser antwortete ihr verständnisvoll, dass das Gesetz wohl keine Auswirkungen auf sie haben werde. Seiner Ansicht nach werde dies nicht für Töchter von Betroffenen gelten. Zudem sei die Mutter ja eigentlich nicht erbkrank. Es gäbe andere Faktoren für den Ausbruch der psychischen Erkrankung der Mutter und nach einer wissenschaftlichen Statistik seien nur 0,8 – 1 Prozent der Kinder von schizophren Erkrankten ebenfalls von dieser Krankheit betroffen. Es gab offensichtlich Ärzte in Weinsberg, die sich nicht von der Ideologie der Nazis vollständig vereinnahmen ließen. Wie die Geschichte leider in zig Fällen aber zeigte, ließen und lassen sich Nazis leider meistens nicht mit Argumenten und Fakten überzeugen.

Am 2. Januar 1939 werden die älteste Tochter Lina Glasbrenner und das Städtische Fürsorgeamt Ludwigsburg informiert, dass auf Veranlassung des Innenministeriums Lina Peukert in die Staatliche Heilanstalt Zwiefalten versetzt werden sollte. Das Schreiben wurde an die Frankfurter Adresse von Lina Glasbrenner versendet. Die Familie Glasbrenner ist wohl schon ca. 1937 nach Kiel umgezogen. Dem Fürsorgeamt Ludwigsburg war aber auch dieser Umzug aber erst Mitte 1939 bekannt. Es wollte überprüfen, ob Lina Glasbrenner vielleicht nicht inzwischen für ihre Mutter aufkommen müsste und machte sie für das Ausfüllen eines Fragebogens in der Lange Straße 36 im Kieler Stadtteil Friedrichtsort ausfindig.

Eine Begründung für die Versetzung von Lina Peukert nach Zwiefalten konnte ich nicht finden. Auch kein Hinweis, dass diese Entscheidung Weinsberg voran getrieben hätte. Am 5. Januar 1939 wird sie von der Oberpflegerin Schauwecker und 2 zusätzlich begleiteten Pflegerinnen dorthin verbracht und eingewiesen. Dort war sie dann allerdings nicht sehr lange. Bereits am 8. September 1939 wurde Lina Peukert aus platztechnischen Gründen in die Heilanstalt Schussenried verlegt.

Am 29. Oktober 1940 muss Lina Peukert in einen der sogenannten grauen Busse nach Grafeneck steigen. Selbst die Scheiben der Busse waren grau gestrichen. Niemand sollte auf der Fahrt hinein oder hinaus schauen können.

Lina Peukert wurde in Grafeneck in einem umgebauten Geräteschuppen ermordet. Insgesamt wurden 317 Menschen aus Bad Schussenried zwischen dem 7. Juni und dem 1. November 1940 in insgesamt 9 Fahrten nach Grafeneck in den Tod deportiert. Nach ihrer Ankunft dort musste sie sich wie die anderen Opfer ausziehen. Alle wurden dann ärztlich begutachtet. Dies hatte für die Nazis den Zweck, hinterher eine fiktive Todesursache für die Todesurkunde erstellen zu können. Lina Peukert wurde dabei auch wie alle anderen von den Ärzten zur Beruhigung mit Morphium gespritzt. Unter dem Vorwand des Duschens wurde Lina dann im Vergasungsraum ermordet. Das Vergasen der Opfer dauerte 20 Minuten und war für sie wie für alle Opfer ein qualvoller Kampf mit dem Tod. Die Leichen wurden anschließend in zwei Verbrennungsöfen verbrannt.

Die Nazis versuchten ihre Ermordungen im Namen der „Euthanasie“ zu verschleiern. Sie fälschten Todesursache, Todesdatum und Todesort. Das Fürsorgeamt Ludwigsburg wusste offensichtlich nicht offiziell vom Tode Lina Peukert. Mit Schreiben vom 10. Februar 1941 erkundigte sich man in Grafeneck nach dem Verbleib von ihr. Ob sie den seit dem 29. Oktober 1940 immer noch in Grafeneck wäre. Antwort bekam dann Ludwigsburg nicht von Grafeneck, sondern von der offiziell betitelten Landesanstalt Hartheim bei Linz. Diese Tötungsanstalt war im Gegensatz zu Grafeneck noch 1941 „in Betrieb“. Während in Grafeneck nach über 10 000 Opfern im Dezember 1940 die Ermordungen eingestellt wurden, lief die Gaskammer in Hartheim noch bis zum 1. September 1941 auf Hochtouren. In 16 Monaten wurden dort 18 269 Menschen in der Gaskammer getötet. Lina Peukert starb angeblich dort nach Mitteilung vom 17. Februar 1941 der „Landesanstalt Hartheim“ an das Fürsorgeamt Ludwigsburg „am 11. November 1940 infolge akuten Darmverschluss und Bauchfellentzündung“.

Marc Haiber

 

 

Richard Werner

42jähriger Oßweiler wurde ermordet

Hermann-Löns-Straße 13

Richard Werner kam am 10. Mai 1898 zur Welt. Er heiratete Lina Kunst, eine Fabrikarbeiterin. Das Paar lebte in Oßweil in der heutigen Hermann- Löns-Straße 13.

Aus den Akten des Vormundschaftsgerichts wissen wir, dass er am 10. September 1925 „infolge einer Geistesstörung“ in die Heilanstalt Weinsberg eingeliefert wurde. Ein Antrag auf Invalidenrente wurde gestellt, laut ärztlichem Gutachten sei eine Verständigung mit Richard Werner nicht möglich gewesen. Da sein Bruder die Pfl ege nicht übernehmen wollte oder konnte, wurde ein gewisser Karl Stuber per Handschlag verpfl ichtet. Dieser ließ notariell beglaubigen, dass Werner außer der Kleidung und Dingen persönlichen Gebrauchs nichts besaß, ein Vermögensverzeichnis wurde daher nicht erstellt.

Regelmäßig erstattete Karl Stuber Berichte für das Vormundschaftsgericht, dass sich an der Vermögenslage nichts geändert habe. Die Rente wurde nach Weinsberg überwiesen, er selbst habe weder Einnahmen noch Ausgaben. Der Bericht für 1940 fehlt, denn am 19. August 1940 wurde Richard Werner nach Grafeneck „verlegt“ und dort am gleichen Tag ermordet.

Christian Rehmenklau

 

 

Karl Merkle

Der junge Mann wurde „leutscheu“

Baltenstraße 28

Karl Heinrich Merkle wurde am 16. Juli 1881 in Oßweil geboren. Er lebte mit seiner Familie in der Baltenstraße 28.

Im Februar 1935 wurde im Kreiskrankenhaus Ludwigsburg die Diagnose „Schizophrenie“ gestellt. Seine Schwester berichtet, der Bruder sei zwanzig Jahre lang normal gewesen, „im 20. Lebensjahr wurde er leutscheu“, habe Angstzustände bekommen, man habe befürchtet, er würde sich das Leben nehmen.

Im März 1901 kam er in die Heilanstalt Weinsberg. Die Einträge in der Krankenakte waren zunächst ausführlich, wurden dann immer sporadischer und gleichförmiger. „Außerordentlich stumpf und teilnahmslos, schwere Demenz, pfl egebedürftig.“ So und ähnlich lauteten die Berichte.

Am 16. Juli 1940 wurde er nach Grafeneck „verlegt“ (dieser vermeintlich unauff ällige Begriff steht in der Geschichte der NS-Krankenmorde für „zur Tötung weggebracht“) und am gleichen Tag ermordet. Die Nazi-Behörden verschleierten Todestag und Sterbeort, damit das System ihrer Taten nicht erkennbar werden sollte. Auf diese Art sollte verhindert werden, dass sich Protest hätte entwickeln können.

Christian Rehmenklau

 

 

Pauline Schenk

Ein Leben in Arbeit und Anstalten

Hospitalstraße 39

Pauline Helene Schenk wurde am 5. Januar 1880 in Ludwigsburg geboren. Sie war erst drei Jahre alt, als ihr Vater starb. Ihre Mutter verdiente von nun an als Waschfrau alleine den kärglichen Unterhalt für sich und ihre sieben Kinder.

Nach Abschluss der Volksschule trug Pauline als Dienstmädchen zum Lebensunterhalt der großen Familie bei. Gegen Ende ihres 16. Lebensjahres litt sie zum ersten Mal unter schizophrenen Schüben. Im Januar 1897 wurde sie in die Heilanstalt Winnenthal eingeliefert.

Sie war verwirrt und litt unter lebhaften Sinnestäuschungen. Sie glaubte bald in Stuttgart, bald in Ludwigsburg zu sein. Manchmal war sie heiter und lachte, aber meist war sie ängstlich und manchmal weinte sie. Sie interessierte sich nicht für ihre Umwelt und versteckte sich meist unter ihrer Bettdecke. Im Winter 1903 wurde sie ungeheilt in der Anstalt Göppingen aufgenommen. Ihr Zustand und ihr Verhalten änderte sich nicht.

Im Dezember 1922 wurde sie in die Anstalt Weissenau überwiesen, wo sie von da an 18 Jahre verbringen sollte. Im Sommer 1924 erkrankte sie an Tuberkulose, die sie jedoch überstand. Ihr körperlicher Zustand war dann wieder so gut wie zuvor. Am 28. August 1940 wurde sie in einem der grauen Busse in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert und dort am selben Tag in der Gaskammer ermordet.

andreas nothardt

 

 

Mathilde Spindler

Sie glaubte, ihr gehöre das Weltall

Lindenstraße 1

Mathilde Spindler wurde am 15. Februar 1877 in Hof und Lembach bei Großbottwar geboren. Nach ihrer Schulzeit war sie als Köchin und als Dienstmädchen in Stellung. Im Lauf des Jahres 1902
wiesen nach ärztlicher Ansicht erste Anzeichen geistiger Verwirrtheit, verbunden mit Wahnvorstellungen, darauf hin, dass sie an Schizophrenie erkrankt sei.

Im Dezember 1912 zog die ganze Familie nach Ludwigsburg. Fünf Jahre später wurde Mathilde Spindler in die Heilanstalt Göppingen eingewiesen, wo sie fünf Jahre verbrachte. In der Krankenakte wird festgehalten, dass sie körperlich gesund sei, aber immer wieder an Größenwahn grenzende Ideen äußere. Sie phantasiere zum Beispiel, dass sie Millionen besitze, dass sie
ein Recht auf das Schloss in Stuttgart habe, dass sie Weltallbesitzerin sei.

Schließlich wurde Mathilde Spindler im Dezember 1922 in die Heilanstalt Weissenau aufgenommen, wo sie die letzten 18 Jahre ihres Lebens in voller körperlicher Gesundheit, aber ohne Besserung ihres geistigen Zustandes verbringen sollte. Ihr Größenwahn nahm immer groteskere Züge an. Sie hielt sich für die Reichskanzlerin. Sie erklärte: „Jetzt lasset me no amol nach Berlin, damit au Schwung in die Regierung kommt. Meinet denn dui, si könnet schlofa? I bin dem Hitler sei Frau, i bin d‘ Hitlere.“

Mathilde Spindler wurde am 16. Oktober 1940 mit einem der berüchtigten grauen Busse von der Anstalt Weissenau in die Tötungsanstalt Grafeneck transportiert. Sie wurde dort am gleichen
Tag in der Gaskammer ermordet.

andreas nothardt

 

 

Julius Weber

Weitgereist und eingesperrt

Bahnhofstraße 29

Julius Edward Christian Weber zog im Alter von 54 Jahren nach Ludwigsburg. Er war am 19. Juni 1868 in Oldenburg geboren worden.

Er lebte zwischen 1922 und 1925 in Ludwigsburg, seine letzte Adresse war die Bahnhofstrasse 29. Danach begannen lange Jahre in der Psychiatrie: Von seiner Ludwigsburger Wohnung wurde er im Januar 1926 in die Heilanstalt Weinsberg gebracht. Im Alter von 72 Jahren wurde er am 16. Juli 1940 nach Grafeneck „verlegt“, dieser Tag ist auch sein Todestag, er wird in Grafeneck ermordet.

Über sein Leben, bevor er nach Ludwigsburg kam, wissen wir wenig. Im Archiv seiner Geburtsstadt ist überliefert, dass er Oldenburg 1892 verließ und im September 1913 von Paris zurückkehrte.
Danach lebte er in München und dann in Stuttgart. Als Beruf ist angegeben: „1. Stadtrat a.D.“ – diese Bezeichnung fi ndet sich auch im Stadtarchiv Ludwigsburg.

Christian Rehmenklau

 

 

Marta Pfitzer

geb. Vanderdell

Krank geworden an den Folgen des Kriegs

Keplerstraße 10

Geboren ist Marta Pfitzer am 6. Oktober 1891 in Freudenstadt. Sie ist das siebte von acht Kindern. Ungewöhnlich an ihrem Lebenslauf: Sie heiratet am 28. Februar 1914 in London. Ehemann ist Eugen Pfitzer, geboren 1883 in Bruch in Kreis Backnang, sein damaliger Beruf war Kellner.

Später arbeitet er als Fabrikaufseher bei der Firma Heinrich Franck Söhne in Ludwigsburg. Sie haben vier Kinder: Eugen (*1914), Richard (*1921), Johanna (*1922) und Else (*1926). Die Wohnung der Familie war in der Keplerstraße 10.

Als Todesdatum verzeichnet das Familienregister in Freudenstadt den 17. Juni 1940 – dieses Datum ist gefälscht: Marta wurde am 4. Juni 1940 nach Grafeneck verschleppt und am selben Tag umgebracht.

Das Bezirkskrankenhaus Ludwigsburg hatte 1930 die „Verbringung der Geisteskranken in eine Irrenanstalt“ beantragt. Als um Kosten für die Unterbringung in der Anstalt Weinsberg gestritten wurde, argumentierte ein Anwalt: Eugen sei  als deutscher Soldat von 1914 bis 1919 in englischer Gefangenschaft gewesen und Marta habe den Haushalt und das neu geborene Kind alleine versorgen müssen. Ihre Erkrankung sei ausschließlich auf die Folgen der Kriegsjahre zurückzuführen.

1938 hält die Anstalt Weinsberg fest: „Die Frau im ganzen allmählich etw. ruhiger, aber doch nicht wesentlich verändert, zu manchen Zeiten freundlich und lässt eine paar vernünftige Worte mit sich reden. Auch strebsam und fleißig, putzt aus eigenem Antrieb tägl. das Badezimmer der Abteilung. Steht aber nach wie vor unter Wahnideen, hat lebhafte Gefühlstäuschungen, lautes Schimpfen. Es vergeht keine Tag ohne solche Szenen. Von einer Heimholung ist dringend abzuraten.“

Am 8. Juni 1940 teilt die Heilanstalt Weinsberg der Ortsfürsorge Ludwigsburg mit, dass Marta Pfitzer im Rahmen umfangreicher Verlegungen, die mit der Kriegslage zusammenhingen, in eine andere Anstalt verlegt wurde. Dies war Grafeneck, wo sie ermordet wurde.

Christian Rehmenklau

Friederike Baudermann

… kennt den Namen unseres Königs nicht

Talstraße 11

Über Friederike Katharina Baudermann ist bekannt, dass sie am 11. Januar 1869 geboren wird – ob in Scharnhausen oder in Ludwigsburg, darüber gibt es verschiedene Angaben. Sicher ist den Unterlagen zufolge: Die Familie lebt in Ludwigsburg in der Talstraße 11.

In einem ärztlichen Zeugnis von 1911 heißt es, neben der Diagnose Schwachsinn: „ […] sie kann wohl lesen, dagegen kann sie nicht die einfachsten Rechenexempel lösen […]. Sie kennt den Namen unseres Königs nicht und nicht den der Königin, von Geschichte weiß sie gar nichts, von der Bibel beinahe nichts.“

Friederike Baudermann ist arbeitsfähig und wohnt um 1911 offenbar bei ihrer Familie. Eine Schwester wohnte in Breslau, eine andere in Aalen. Vielleicht aus diesem Grund wird sie 1911 von Ludwigsburg in die Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall eingewiesen. Wo hauptsächlich junge Frauen zu Diakonissen ausgebildet wurden, wohnten auch bis zu 500 behinderte Frauen und Kinder.

1940 werden von hier 256 Bewohner nach Weinsberg gebracht und von dort aus bald darauf an die Orte ihrer Ermordung transportiert. Friederike Baudermann ist eine von ihnen. Sie wird am 20. November 1940 von Schwäbisch Hall abtransportiert und im März 1941 von Weinsberg aus „in eine andere Anstalt verlegt“, wie es ihre Akte vermerkt.

Die Gedenkstätte Hadamar in Mittelhessen teilt mit: „Weinsberg war zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar. Von dort gelangte Frau Baudermann in einem Transport mit 80 weiteren Patienten am 10. März 1941 nach Hadamar. Die Patienten eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet.“

Die Anstalt Hadamar teilt Anfang Juni 1941 dem Städtischen Sozialamt Ludwigsburg mit, „[…] dass die Sozialrentnerin Friederike Baudermann, geb. 11. 1. 1869 in Ludwigsburg, am 30. März 1941 verstorben ist.“ In der Gedenkstätte weiß man aus trauriger Erfahrung: „Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen.“

Gisela Scharlau

Martha Stauch

Eine junge Frau mit eigenem Sinn

Maxstraße 1

 

Martha Stauch erlitt im Sommer 1919 zum ersten Mal epileptische Anfälle. Als sie 14 Jahre alt geworden war, beschlossen ihre Eltern, sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal unterzubringen.

Dort verbrachte sie zunächst vier Jahre. Sie wohnte dann für ein Jahr bei ihren Eltern in der Maxstraße 1. Von dort wurde sie zum dritten Mal in Stetten aufgenommen. Martha konnte zwar manchmal eine schwierige Patientin sein, sie hatte aber auch gute Seiten. Sie konnte gut lesen, schreiben und rechnen und beschäftigte sich oft mit Handarbeiten. Sie ging gern zur Kirche und da sie das Stettener Konfirmandenbüchlein verstand, konnte sie auch konfirmiert werden.

Martha führte gern und oft Selbstgespräche. Oft thematisierte sie dabei die zwei verschiedenen Seiten ihres Wesens. Manchmal stellte sie fest: „Bisch eba a Luader, Martha“, um dann wieder selbstbewusst zu sagen: “D’ Martha isch scho recht, die kaas eba.“

Im Mai 1940 wurde Martha von einer Krankenschwester in die geschlossene Heilanstalt Weiß enau eingeliefert. Am 5. Dezember 1940 wurde sie von dort nach Grafeneck deportiert und dort noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet..

andreas nothardt