Berta Frank

geb. Kurzenberger

„ohne vorherige Genesung“

Weimarstraße 3

Berta Kurzenberger ist am 7. Juli 1907 als siebtes und jüngstes Kind des Schreinermeisters Karl Friedrich Kurzenberger  und seiner Frau Christiane in Mundelsheim geboren. Dort ist sie in einer großen Handwerkerfamilie aufgewachsen. Ob Berta einen Beruf erlernt hat, ist nicht bekannt.

Im Mai 1931 heiratet sie Max Frank, Orgelbauer und Schreiner, aus Ludwigsburg. Gemeinsam mit den Schwiegereltern wohnt das junge Paar in der Weimarstraße 3 in Ludwigsburg.

Im Juli 1932 werden Berta und Max Frank Eltern einer kleinen Tochter, Lieselotte. Lieselotte ist zwei Jahre alt, als ihre Mutter wegen einer psychischen Erkrankung in die Heilanstalt in Weinsberg aufgenommen wird. Nach kurzem Aufenthalt kehrt Berta zu ihrer Familie nach Ludwigsburg zurück. Ihre gesundheitliche Verfassung bleibt auf Grund ihrer als schizophren bezeichneten Erkrankung instabil.

So wird sie, von März bis August 1935, erneut in der Heilanstalt in Weinsberg untergebracht. Danach ist sie ein halbes Jahr lang wieder bei ihrer Familie, bevor sie im März 1936, „auf Ansuchen der Angehörigen“, wie im Patientenblatt vermerkt ist, als ständige Patientin in der Heilanstalt untergebracht wird. Die kleine Tochter Lieselotte wird von den Großeltern betreut. Max Frank beantragt wegen der Erkrankung seiner Frau im Jahr 1938 die Scheidung.

Im Patientenbuch der Heilanstalt Weinsberg ist unter dem Datum vom 10. März 1941 der Austritt Berta Franks vermerkt. In der dafür vorgesehenen Spalte steht „verlegt“, „ungeheilt“. Damit wird die „Verlegung“ in eine Tötungsanstalt umschrieben.  Nach der vom Reichsinnenministerium im Herbst 1939 verordneten Erfassung aller Patienten in den Heilanstalten des Deutschen Reichs gehört Berta Frank zu den Menschen, deren Leben „unwert“ ist.

Am 10. März 1941 wird Berta Frank mit anderen Patienten der Heilanstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt nach Hadamar gebracht und vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Der Stolperstein vor dem Gebäude  Weimarstraße 3, wo Berta Frank mit ihren Angehörigen vor der Einlieferung in die Heilanstalt gelebt hat, soll ein Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung sein, an Berta Frank und ihren gewaltsamen Tod.

Gudrun Kartstedt

Fanny Frank

40jährige Mutter wurde ermordet

Wernerstraße 20

Fanny Frank, geb. Katzenwadel, wurde am 18. Januar 1900 in Nussdorf (bei Vaihingen an der Enz) geboren. Sie war Hausfrau, evangelisch und mit Hans Frank, einem Kaufmannn in Ludwigsburg verheiratet. Ihre Eltern waren Karl Katzenwadel, Kaufmann, gestorben in Nussdorf und Pauline Sofie, geborene Schmidt, ebenfalls gestorben in Nussdorf.

Ihr letzter Wohnsitz in Ludwigsburg war in der Wernerstraße 20 in der Weststadt, dabei handelte es sich um eine Werkswohnung der Württembergischen Furnierwerke.

Fanny Frank erkrankte im Alter von 34 Jahren. Sie war in der Folge in verschiedenen Pflegeeinrichtungen. Am 24. Mai 1934 wurde sie „zum wiederholten Male ohne vorherige Genesung auf Ansuchen der Angehörigen aus dem Kreiskrankenhaus Ludwigsburg“ in der Privatklinik „Kennenburg“ in Esslingen aufgenommen.

Von hier kam sie am 17. August 1934 mit dem Vermerk „ungeheilt“ nach Göppingen. Sie blieb dort bis zum 30.  Juli 1938. Die Diagnose lautete Schizophrenie. Bei ihrem Austritt wurde vermerkt: „leicht gebessert“.

Schon wenige Tage später, am 4. August 1938 wurde sie „zum 2. Male ohne vorherige Genesung unmittelbar versetzt aus der Familie“. Sie war also nur vier Tage in Ludwigsburg bei der Familie, bevor sie wieder nach Göppingen kam. Dort blieb sie bis zum 21. Juni 1940, dann wurde sie nach Weinsberg verlegt.

Von hier wurde sie am 11. Dezember 1940 „ungeheilt“ entlassen, der neue Aufnahmeort wurde nicht genannt. Die Gedenkstätte in Grafeneck bestätigt, dass Fanny Frank am gleichen Tag, am 11. Dezember 1940, zusammen mit 74 anderen Menschen, in Grafeneck ermordet wurde. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Ludwigsburg.

Fanny Frank hatte eine Tochter namens Helene. Die Schwester von Fanny Frank war mit Albert Rees, dem Inhaber des in Ludwigsburg bekannten Spielwarengeschäftes, verheiratet. Hier arbeitete auch die Tochter Helene, die 1998 starb.

Christian Rehmenklau

Lydia Würth

Statt Schutz fand sie mit 44 den Tod

Möglinger Straße 4

Lydia Würth wurde am 15. Juni 1896 in Pflugfelden geboren. Die Familie wohnte in der Möglinger Straße 4. Sie war das vierte von zehn überlebenden Kindern. Die Familie war sehr arm, der Vater war Tagelöhner.

Im Alter von zwei Jahren erkrankte Lydia an einer Lungenentzündung. Eine geistige Beeinträchtigung hatte sie nach ärztlicher Meinung von Geburt an. Sie lernte sie erst mit zwei Jahren Stehen und Gehen und mit vier Jahren Sprechen.

In Pflugfelden wurde sie 1903 eingeschult und konnte nach mehr als einjährigem Schulbesuch, laut einem Bericht des Oberamtsarztes Zeller, im Oktober 1904 an den Fingern nur bis sechs richtig zählen. Oberamtsarzt Zeller diagnostizierte, dass Lydia „im mäßigen Grade schwachsinnig“ sei. Sie sei aber gutmütig und in einer Anstalt bildungsfähig. Körperliche Einschränkungen hatte Lydia Würth keine.

Im Mai 1905 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Gärtnerhaus aufgenommen. Dort besuchte sie die Schule. Mit 14 Jahren wurde sie wohl ausgeschult. Sie half  beim Putzen und anderen Hausgeschäften. Lydia arbeitete wohl gerne und wurde als gute „Schafferin“ geschätzt.

1916 wurde Lydia Würth in die Landesarmenanstalt Markgröningen eingewiesen. Diese war wesentlich billiger als die Stettener Anstalt. Das Leben in Markgröningen während des ersten Weltkrieges und in den Jahren danach war hart.

Am 7. August 1940 wurde Lydia Würth in Grafeneck ermordet. Mit 74 weiteren Frauen hatten „graue Busse“ sie dorthin verfrachtet. Nach ihrer Ankunft dort musste sie sich wie die anderen Opfer ausziehen. Unter dem Vorwand des Duschens wurde Lydia Würth dann im Vergasungsraum ermordet. Das Vergasen der Opfer dauerte 20 Minuten und war für sie, wie für alle Opfer, ein qualvoller Kampf mit dem Tod.

Marc Haiber

Elsa Rabus

Der Staat als Lügner und Mörder

Solitudeallee 12

Elsa Rabus wurde am 10. Mai 1904 in Lauben im Bezirksamt Memmingen geboren. Sie blieb ledig und wohnte abwechselnd bei einem ihrer 15 Geschwister, die sich für sie verantwortlich fühlten. Zeitweise verdiente sie ihren Lebensunterhalt als Arbeiterin oder als Dienstmagd. Ab 30. August 1937 wohnte Elsa für ein paar Wochen in der Solitudeallee 12 bei ihrer Schwester Mathilde.

Am 11. Oktober wurde Elsa in die Anstalt Weinsberg aufgenommen. Die Diagnose lautete: „angeborener Schwachsinn und Epilepsie“. Elsas Neffe kann sich nicht erinnern, dass seine Tante hilfsbedürftig und schwachsinnig gewesen wäre. Er erlebte sie als einen ganz ruhigen, in sich gekehrten und traurigen Menschen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde Elsa Rabus in Weinsberg zwangsweise sterilisiert. Am 4. Juni 1940 wurde sie aus der Anstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt Grafeneck verlegt, wo sie noch am gleichen Tag in der Gaskammer ermordet wurde. Ihr Körper wurde dort im Verbrennungsofen eingeäschert.

Der Familie wurde später eine Urne zugestellt, die, wie es in diesem Zusammenhang üblich war, sicherlich nicht die Asche Elsas enthielt. Zur Verschleierung der tatsächlichen Todesumstände war im Begleitschreiben als Todesursache frei erfunden Lungenentzündung und als Sterbeort Ulm angegeben.

Die Urne wurde im Grab von Elsas Mutter beigesetzt.

andreas nothardt

Albert Eckert

Staatlicher Mord an einem Eisenbahner

Leonberger Straße 19

Albert Eckert wurde am 23. März 1873 in Stuttgart geboren. Als er fünf Jahre alt war, zog seine Mutter mit ihm nach Ludwigsburg, wo sie als Näherin bei der königlichen Garnisonsverwaltung arbeitete.

Er besuchte zunächst die Elementarschule und dann die Humanistische Anstalt, wo ihm mit 16 Jahren das Qualifikationszeugnis für den einjährigen Militärdienst ausgehändigt wurde. Im August 1889 schrieb er ein Gesuch an die Hohe Königliche Generaldirektion der württembergischen Staatsbahn, in dem er erfolgreich um die Aufnahme als Eisenbahnpraktikant bittet. 1897 erkrankte er dann an hochgradiger Nervosität. Am 18. Mai 1898 wurde Albert Eckert trotzdem zum Eisenbahnpraktikant erster Klasse befördert. In seinem dienstlichen Zeugnis wird ihm die persönliche Tüchtigkeit für den erstrebten Dienst bescheinigt.

Aber in den folgenden Jahren war er immer wieder dienstunfähig, da er öfters an geistigen Störungen litt. Er stellte selbst fest, dass „seine Gehirntätigkeit den Anforderungen seines Berufes nicht mehr genügte“. Im Juni 1907 wurde er aus dem Dienst entlassen. Drei Jahre später wurde er in die Heil- uns Pflegeanstalt Pfullingen eingewiesen.

Die Diagnose lautete Schizophrenie und paranoide, halluzinatorische Demenz. Im Februar 1922 wurde er in die Heil- und Pflegeanstalt Weissenau verlegt, von wo er am 9. September 1940 in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert wurde. Dort wurde er noch am gleichen Tag ermordet.

andreas nothardt

Erich Mezger

Einem Kind wird das Leben verwehrt

Wilhelmstraße 49

Erich Mezger wird am 5. November 1927 in Ludwigsburg in der Wilhelmstrasse 49 (im Hinterhaus) geboren. Schon kurz nach seiner Geburt hat er schwere gesundheitliche Probleme, er entwickelt sich sehr schlecht, kann kaum laufen und nicht sprechen. 1932 verbringt er vier Wochen im Ludwigsburger Krankenhaus, wo er wegen seiner Krampfanfälle und seines allgemein schlechten Gesundheitszustands behandelt wird.

Am 3. Dezember 1932 wird er durch Vermittlung des Ludwigsburger Jugendamtes in der Heil-und Pflegeanstalt Stetten im Remstal aufgenommen. Aus den Berichten der dortigen Schwestern geht hervor, dass Erich keine Fortschritte macht und als schwerstbehindertes Kind intensiv gepflegt werden muss.

Am 1. September 1940 leben 769 Bewohner in der Anstalt Stetten. In den folgenden Tagen werden zuerst die bettlägerigen Kranken „verlegt“. Insgesamt 324 Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer und ältere Menschen werden von dort mit den „Grauen Bussen“ nach Grafeneck gebracht, wo sie noch am selben Tag ermordet werden.

Nach Auskunft der Gedenkstätte Grafeneck wird Erich Mezger am 13. September 1940 von Stetten nach Grafeneck gebracht und wird dort – noch nicht ganz 13 Jahre alt – sofort ermordet.

Die Familie von Erich Mezger lebt zu dieser Zeit schon lange in der Unteren Kasernenstrasse 15. Der Vater Christian Mezger stirbt am 10. Januar 1946 in französischer Kriegsgefangenschaft in Aix-les-Bains. Die Mutter stirbt am 31. Oktober 1967 in Ludwigsburg. Die Halbschwester lebt noch 1966 in der Psychiatrischen Landesanstalt in Winnenden und ist offenbar kinderlos geblieben. Der Bruder Hans (*1931), der den Unterlagen zufolge eine Schreinerlehre absolviert hat und später als Maler arbeitet, war zweimal verheiratet. Nachkommen gibt es offenbar nicht. Hans Mezger stirbt 1980 in Ludwigsburg

Gisela Scharlau

Maria Fritz

Leben in der Anstalt war tödlich

Marktplatz 6

Maria Staiger wird am 14. Oktober 1873 in Hemmingen geboren. Am 12. Oktober 1901 heiratet sie in Schwäbisch Hall den fünf Jahre älteren Obersekretär Karl Christian Fritz (geboren am 13. Dezember 1868 in Heilbronn). Aus der Ehe gehen zwei Söhne hervor, Karl , geboren 1902 in Schwäbisch Hall und Emil Ewald, geboren 1905 in Ludwigsburg, wo die Familie fortan am Marktplatz 6 wohnt.

1912 tritt erstmals eine Nervenerkrankung bei Maria Fritz auf. Sie wird fünf Monate in der privaten Heilanstalt Kennenburg (Esslingen) behandelt. Sie leidet nach Einschätzung der Ärzte unter Verfolgungswahn, Halluzinationen und unter ständigem Heimweh und Sehnsucht nach ihren Kindern. In ihrer Akte aus Kennenburg finden sich rührende Brieffragmente und Zettel an ihre Kinder. Nachdem sie als „gebessert“ auf eigenen Wunsch entlassen wird, lebt sie zehn Jahre lang bei ihrer Familie in Ludwigsburg.

Im Mai 1922 begibt sie sich freiwillig wieder in die Behandlung der Kennenburger Ärzte. Von dort wird sie im August 1922 nach Weinsberg eingeliefert. Die Diagnosen lauten zunächst „manisch depressiv“ und „paranoid“, später dann Schizophrenie.

1927 zieht ihr Ehemann Karl Fritz nach Stuttgart, wo er schon 1936 stirbt. Danach übernimmt der älteste Sohn Karl die Pflegschaft für seine Mutter. Am 4.  Juni 1940 wird ihm mitgeteilt, dass seine Mutter auf Anordnung des Reichsverteidigungskommissars in eine andere Anstalt verlegt worden sei. Am 24. Juni 1940 erhält er dann aus der Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein/Pirna die Nachricht, dass seine Mutter dort einem Hirnschlag erlegen und wegen Seuchengefahr eingeäschert worden sei.

Tatsächlich jedoch wird Maria Fritz am 4. Juni 1940 von Weinsberg aus direkt nach Grafeneck gebracht und noch am selben Tag ermordet.

In den Akten aus Weinsberg findet sich ein Foto der Maria Fritz von 1939. Die damals 66 jährige schaut ernst, aber klar in die Kamera. Ihre Krankheit sieht man ihr nicht an.

Gisela Scharlau

Karl Müller

Er hatte zu Hoffnungen Anlass gegeben

Jägerhofallee 2

Am 16. Juli 1940 wurden 18 Menschen aus dem Landkreis Ludwigsburg in grauen, fensterlosen Bussen in die Anstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb gebracht und dort ermordet – einer von ihnen war Karl Müller, geboren am 5. Juli 1904 in Ludwigsburg.

In der Jägerhof-Allee 2, im ersten Stock, lebte Karl Müller mit seiner Mutter, bis er 1927 in die Anstalt Weinsberg aufgenommen wurde. Mit 16 stürzte er beim Turnen auf den Kopf, seither hatte er epileptische Anfälle. Nach dem Tuberkulose-Tod seines Brudes im Jahr 1926 habe der sehr religiöse junge Mann sich stark verändert: „Aufgeregtes Wesen, tobsüchtig, gewalttätig. Kein Anfall. Wird in weinerlichem Zustand gebracht, ist dabei völlig klar und orientiert. Grübelt am nächsten Tag still vor sich hin, liest in der Bibel (…) während der folgenden Woche annähernd normales Verhalten ohne auffälliges Wesen. Dann nachts plötzlich schwerster Erregungszustand, geht auf Zimmergenossen los unter völliger Verkennung der Umgebung, halluziniert lebhaft.“ Weiter heißt es:  „Grund der Anstaltsbedürftigkeit: Pflegebedürftig, gefährlich für andere.“

Über Karl Müller erfahren wir in den Akten, dass er in der Schule schnell gelernt habe, aber mit den Kameraden oft Streit gehabt habe. Nach der Schule machte er eine Lehre als Flaschner, ein Beruf, in dem auch der Vater gearbeitet hatte. Er sei später Angestellter, bei „schwerem Geschäftsgang“ auch mal arbeitslos gewesen.

Andere Hilfen als ein Leben in der Anstalt erschienen nicht möglich. In einem typischen Eintrag im Krankenbericht im Oktober 1937 heißt es: „Das Zustandsbild des Patienten ist ziemlich stabil: Er kann längere Zeit ganz ruhig und geordnet sein, dann kommen plötzlich endogene Verstimmungszustände, er wird erregt, als Abschluss immer Anfälle.“ Die Akte endet am 16. Juli 1940 mit dem handschriftlichen Vermerk: „In andere Anstalt verlegt“.

Christian Rehmenklau

Wilhelm Ziegler

Kriegsfreiwilliger, Kaufmann, krank – umgebracht

Friedrichstraße 30

Wilhelm Ziegler wurde am 9. Mai 1884 in Ludwigsburg geboren. Seine Eltern sind Wilhelm und Karoline, geb. Etter. Am 2. Dezember 1919 heiratet er in Heilbronn Elisabeth Klein, die drei Jahre jünger ist als er. Sein Beruf wird mit Kaufmann angegeben. Das Ehepaar wohnt spätestens ab 1920 in der Friedrichstraße 30 im zweiten Stock.
Während des Ersten Weltkriegs ist Wilhelm Ziegler Kriegsfreiwilliger in einer Artillerieeinheit, zuletzt in einem Artilleriedepot.
Seit 1924 ist Wilhelm Ziegler immer schwerer erkrankt. 1930 verschlechtert sich sein Zustand dermaßen, dass er selbst seine Zustimmung zur Einlieferung in die Heilanstalt Weinsberg gibt.
Seine Frau erklärt am selben Tag: „Der Zustand meines Mannes ist derart, dass ein Zusammenleben mit ihm unmöglich ist. Er leidet an Wahnvorstellungen und bedroht mich öfter….“
Nach seinem Einzug am 28. Februar 1930 lebt er zehn Jahre lang in der Heilanstalt Weinsberg.
Bis zu seiner „Verlegung in eine andere Anstalt“, im Klartext: bis zu seiner Ermordung in Grafeneck am 19. August 1940 bleibt er in Weinsberg.
Als Todesort ist im Totenschein Hartheim/Oberdonau angegeben – solche Falschinformationen gehören zur Verschleierungstaktik der Nazis.

Gisela Scharlau

Hermann Wißmann

Der antifaschistische Athlet starb jung

Obere Gasse 16

Diese Ehrung ist für ein Opfer des Nationalsozialismus, das schon 1933 starb. Manchmal wird gesagt: Der Krieg begann doch erst 1939. Der Krieg ja, aber die Verfolgung und Ausschaltung der politischen Gegner begannen viele Jahre früher.

Wir erinnern uns: Reichspräsident Paul von Hindenburg ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler.

Am 27. Februar 1933 wurde der Reichstag in Berlin in Brand gesteckt, Kommunisten wurde der Vorwurf der Brandstiftung gemacht. Nur einen Tag später wurde die «Reichstagsbrandverordnung» erlassen. Damit wurden die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt und der Weg für die legalisierte Verfolgung der politischen Gegner der NSDAP frei gemacht. Die sofort eingeleiteten Verhaftungen begannen mit einer Reihe von hohen Funktionären der linken Parteien.

Am 5. März 1933 war die Reichstagswahl. Schon in den frühen Morgenstunden des darauf folgenden Tages kam es in Deutschland zu zahlreichen Verhaftungen. Hermann Wißmann und viele Genossen von KPD und SPD wurden in Ludwigsburg verhaftet und zum Militär-Arresthaus gebracht, das sich in der Hindenburgstraße befand. Die Verhaftungswelle ging weiter: Unter den Gefangenen waren Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Arbeitersportler, Zeugen Jehovas und andere Missliebige des Regimes.

Wer war Hermann Wißmann?

Hermann Wißmann wurde am 24. Januar 1902 im damals noch selbständigen Hoheneck geboren. Seine Familie lebte in der Oberen Gasse: Vater, Mutter, zwei Brüder und eine Schwester.

Hermann war von Jugend an aktiver Sportler im Hohenecker Turnverein und dort Vorsitzender von 1930 bis zu seiner Verhaftung 1933. Bei der Neugründung des Athletiksportvereins «Täle», dem gemeinsamen Kraftsportverein der Neckarweihinger und Hohenecker Männer, wirkte Wißmann mit. Er betätigte sich in der Schwerathletik, damals ein beliebter Männersport. Die ältesten Mitbürger wissen noch von Wißmanns sportlichen Erfolgen.

Beide Vereine traten in den zwanziger Jahren dem Arbeiter-Sportbund beziehungsweise Arbeiter-Athletenbund bei. Die NSDAP löste 1933 alle sportlichen, geselligen und religiösen Vereinigungen auf und zog deren Vermögen ein. So verloren beide Vereine, in denen Wißmann wirkte, ihre Sportplätze, die Übungsräume und alle Geräte.

Als junge Arbeiter kamen Hermann Wißmann und sein jüngerer Bruder Robert zur KPD und waren dort politisch tätig. Das Parteibüro der KPD befand sich in der Seestraße. Hier wurde auch die «Ludwigsburger Arbeiterzeitung» der KPD hergestellt und von den KPD-Mitgliedern verkauft. Wißmann war ebenfalls Mitglied der Gewerkschaft und der «Roten Hilfe», die politische Gefangene unterstützte. Als Beruf finden wir in seinen Akten die Bezeichnung Maschinenarbeiter.

Nach ihrer Verhaftung am 6. März 1933 waren die Männer nur kurze Zeit im Arresthaus. Danach ging der Transport von Ludwigsburg mit Autobussen auf die Schwäbische Alb ins Konzentrationslager, dem so genannten «Schutzhaftlager Heuberg» bei Stetten am kalten Markt.

In der Bevölkerung war das KZ bekannt. Schon 1933 gab es die Redewendung: «Halt bloß deinen Mund, sonst kommst auf den Heuberg.»

Schnell verhaftet

Wie schnell das gehen kann, erzählte Karl Kunde, KPD-Genosse und Mitgefangener dieses Transportes: «Auf der Fahrt zum Heuberg kam es zu einem Zwischenfall. Wir fuhren an einer Gruppe Straßenarbeiter vorbei, die wohl mitbekommen hatten, welche Insassen in den Bussen saßen. Sie grüßten uns mit erhobener Faust. Unser Transportführer, der stadtbekannte Nazi Motsch, er war SA-Standartenführer, ließ anhalten. Mit seinen SA-Mannen verhaftete er die ganze Gruppe und nahm sie gleich mit auf den Heuberg. Wir konnten sie noch lange auf dem Heuberg sehen und von den Mitgefangenen leicht unterscheiden, da sie in ihrer Arbeitskleidung verhaftet worden waren und keine Gefängniskleider trugen.»

Im Lager Heuberg waren während des Ersten Weltkrieges russische Kriegsgefangene untergebracht. Der Friedhof nebenan ist trauriger Zeuge vom großen Elend dieser Zeit. 1933 wurde das Lager zum ersten Schutzhaftlager Württembergs für Männer, es war ein Arbeitslager.

Die Anlage galt als Vorzeigelager, Journalisten wurden dort herumgeführt. Es gab sogar einen «Tag der offenen Tür». Alles schien in bester Ordnung zu sein. Doch der Schein täuschte, weil niemand hinter die Kulissen sehen konnte.

Im Konzentrationslager Heuberg befanden sich bald 3.000 Inhaftierte, obwohl es nur für ein paar hundert Insassen eingerichtet war.

In der Anfangszeit wurden die Häftlinge mit sinnlosen Arbeiten beschäftigt, etwa Steine von einer Ecke des Platzes zur anderen schleppen. Ständig wurden die Männer schikaniert. Prügel, Quälereien und schwere Körperverletzungen waren bei der SA-Wachmannschaft an der Tagesordnung; es gab Scheinerschießungen. Manche Gefangenen zerbrachen an den seelischen Grausamkeiten – vielleicht auch Hermann Wißmann.

Sport gegen die Haftbedingungen

Wißmann hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Häftlinge nach der schweren Arbeit zu sportlicher Ertüchtigung zu animieren. Auch pflegte er mit ihnen das sportliche Spiel als Ausgleich zur harten Arbeit und zum Zusammenhalt der Gefangenen.

In so einer Arbeitspause starb Hermann Wißmann am 8. April 1933 an Herzversagen. «Er fiel plötzlich um – der Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen», schrieb der Augenzeuge Karl Kunde in seinem Buch. Ob dem Zusammenbruch ein Ereignis vorangegangen war, das ihn direkt bedingte, konnte Karl Kunde nicht berichten.

Hermann Wißmann wurde nur 31 Jahre alt – er hinterließ eine junge Frau und die dreijährige Tochter Sonja. Ihm bleibt der traurige Ruhm, der erste Tote im Konzentrationslager Heuberg zu sein.

Im Ludwigsburger Krematorium fand am 11. April 1933 die Trauerfeier und Einäscherung statt. Seine letzte Ruhestätte fand Hermann Wißmann auf dem Hohenecker Friedhof. Obwohl die Trauerfeier von den Nazis überwacht wurde, nahmen viele Mitglieder der KPD an der Feier im Krematorium teil und erwiesen ihrem Genossen und Freund die letzte Ehre. Kein Wort über die Verhaftung, das Lager und die Umstände des Todes durften die Familie oder seine Freunde erzählen. Hohe Strafen wurden bei Nichtbeachtung angedroht.

Die Witwe Wißmanns starb schon 1941. Mit elf Jahren war das Mädchen Sonja Vollwaise. Sie wohnte bei den Großeltern in Ludwigsburg, und zu allem Unglück verstarb 1943 der Großvater. Später sagte Sonja über diese Zeit: «Wir lebten stets unter Bewachung der Gestapo. Unser Leben war sehr dürftig, da uns die nationalsozialistische Regierung jegliche Hilfe verweigerte.»

Eine Mitschülerin von Sonja erzählte dieser Tage: «Ich bin mit Sonja in die Schule gegangen. Sie war ein liebes Mädchen und eine gute Sportlerin. Über ihren Vater hat sie gesagt: Mein Papa ist tot. – Wir wussten nichts von den traurigen Vorfällen, auch in unserem Elternhaus haben wir nichts davon gehört.»

Sonja Wißmann besuchte nach der Volksschule die Höhere Handelsschule bis 1946. Sie arbeitete danach als kaufmännische Angestellte. 1949 heiratete Sonja einen US-Soldaten und ging mit ihm nach Amerika. Einwandern in die USA ist nicht leicht, erst recht für einen alten Menschen. Aber die junge Frau hat es geschafft, vier Jahre nach ihrer Hochzeit die Großmutter in die Staaten zu holen. Eine wahrhaft edle Tat!

Wißmanns Grab existiert heute nicht mehr. Aber in Neckarweihingen gibt es die Hermann-Wißmann-Straße und auf dem dortigen Au-Friedhof steht sein Name auf dem Mahnmal. Der Stolperstein in der Oberen Gasse in Hoheneck erinnert an das Schicksal des Antifaschisten, damit Hermann Wißmann in unserem Gedächtnis bleibt. Inzwischen wurden wir informiert, dass auch in der Südstadt Hannovers vor etlichen Jahren eine Straße ausdrücklich nach dem jung verstorbenen KPD Mitglied und Sportler in Wißmannstraße umbenannt wurde.

Karin Kohler
Fotomontage oben: Gebäude Obere Gasse 16 im Jahr 2008,
Portrait von Hermann Wißmann aus «Streiflichter»