Karl Merkle

Der junge Mann wurde „leutscheu“

Baltenstraße 28

Karl Heinrich Merkle wurde am 16. Juli 1881 in Oßweil geboren. Er lebte mit seiner Familie in der Baltenstraße 28.

Im Februar 1935 wurde im Kreiskrankenhaus Ludwigsburg die Diagnose „Schizophrenie“ gestellt. Seine Schwester berichtet, der Bruder sei zwanzig Jahre lang normal gewesen, „im 20. Lebensjahr wurde er leutscheu“, habe Angstzustände bekommen, man habe befürchtet, er würde sich das Leben nehmen.

Im März 1901 kam er in die Heilanstalt Weinsberg. Die Einträge in der Krankenakte waren zunächst ausführlich, wurden dann immer sporadischer und gleichförmiger. „Außerordentlich stumpf und teilnahmslos, schwere Demenz, pfl egebedürftig.“ So und ähnlich lauteten die Berichte.

Am 16. Juli 1940 wurde er nach Grafeneck „verlegt“ (dieser vermeintlich unauff ällige Begriff steht in der Geschichte der NS-Krankenmorde für „zur Tötung weggebracht“) und am gleichen Tag ermordet. Die Nazi-Behörden verschleierten Todestag und Sterbeort, damit das System ihrer Taten nicht erkennbar werden sollte. Auf diese Art sollte verhindert werden, dass sich Protest hätte entwickeln können.

Christian Rehmenklau

 

 

Pauline Schenk

Ein Leben in Arbeit und Anstalten

Hospitalstraße 39

Pauline Helene Schenk wurde am 5. Januar 1880 in Ludwigsburg geboren. Sie war erst drei Jahre alt, als ihr Vater starb. Ihre Mutter verdiente von nun an als Waschfrau alleine den kärglichen Unterhalt für sich und ihre sieben Kinder.

Nach Abschluss der Volksschule trug Pauline als Dienstmädchen zum Lebensunterhalt der großen Familie bei. Gegen Ende ihres 16. Lebensjahres litt sie zum ersten Mal unter schizophrenen Schüben. Im Januar 1897 wurde sie in die Heilanstalt Winnenthal eingeliefert.

Sie war verwirrt und litt unter lebhaften Sinnestäuschungen. Sie glaubte bald in Stuttgart, bald in Ludwigsburg zu sein. Manchmal war sie heiter und lachte, aber meist war sie ängstlich und manchmal weinte sie. Sie interessierte sich nicht für ihre Umwelt und versteckte sich meist unter ihrer Bettdecke. Im Winter 1903 wurde sie ungeheilt in der Anstalt Göppingen aufgenommen. Ihr Zustand und ihr Verhalten änderte sich nicht.

Im Dezember 1922 wurde sie in die Anstalt Weissenau überwiesen, wo sie von da an 18 Jahre verbringen sollte. Im Sommer 1924 erkrankte sie an Tuberkulose, die sie jedoch überstand. Ihr körperlicher Zustand war dann wieder so gut wie zuvor. Am 28. August 1940 wurde sie in einem der grauen Busse in die Tötungsanstalt Grafeneck deportiert und dort am selben Tag in der Gaskammer ermordet.

andreas nothardt

 

 

Mathilde Spindler

Sie glaubte, ihr gehöre das Weltall

Lindenstraße 1

Mathilde Spindler wurde am 15. Februar 1877 in Hof und Lembach bei Großbottwar geboren. Nach ihrer Schulzeit war sie als Köchin und als Dienstmädchen in Stellung. Im Lauf des Jahres 1902
wiesen nach ärztlicher Ansicht erste Anzeichen geistiger Verwirrtheit, verbunden mit Wahnvorstellungen, darauf hin, dass sie an Schizophrenie erkrankt sei.

Im Dezember 1912 zog die ganze Familie nach Ludwigsburg. Fünf Jahre später wurde Mathilde Spindler in die Heilanstalt Göppingen eingewiesen, wo sie fünf Jahre verbrachte. In der Krankenakte wird festgehalten, dass sie körperlich gesund sei, aber immer wieder an Größenwahn grenzende Ideen äußere. Sie phantasiere zum Beispiel, dass sie Millionen besitze, dass sie
ein Recht auf das Schloss in Stuttgart habe, dass sie Weltallbesitzerin sei.

Schließlich wurde Mathilde Spindler im Dezember 1922 in die Heilanstalt Weissenau aufgenommen, wo sie die letzten 18 Jahre ihres Lebens in voller körperlicher Gesundheit, aber ohne Besserung ihres geistigen Zustandes verbringen sollte. Ihr Größenwahn nahm immer groteskere Züge an. Sie hielt sich für die Reichskanzlerin. Sie erklärte: „Jetzt lasset me no amol nach Berlin, damit au Schwung in die Regierung kommt. Meinet denn dui, si könnet schlofa? I bin dem Hitler sei Frau, i bin d‘ Hitlere.“

Mathilde Spindler wurde am 16. Oktober 1940 mit einem der berüchtigten grauen Busse von der Anstalt Weissenau in die Tötungsanstalt Grafeneck transportiert. Sie wurde dort am gleichen
Tag in der Gaskammer ermordet.

andreas nothardt

 

 

Julius Weber

Weitgereist und eingesperrt

Bahnhofstraße 29

Julius Edward Christian Weber zog im Alter von 54 Jahren nach Ludwigsburg. Er war am 19. Juni 1868 in Oldenburg geboren worden.

Er lebte zwischen 1922 und 1925 in Ludwigsburg, seine letzte Adresse war die Bahnhofstrasse 29. Danach begannen lange Jahre in der Psychiatrie: Von seiner Ludwigsburger Wohnung wurde er im Januar 1926 in die Heilanstalt Weinsberg gebracht. Im Alter von 72 Jahren wurde er am 16. Juli 1940 nach Grafeneck „verlegt“, dieser Tag ist auch sein Todestag, er wird in Grafeneck ermordet.

Über sein Leben, bevor er nach Ludwigsburg kam, wissen wir wenig. Im Archiv seiner Geburtsstadt ist überliefert, dass er Oldenburg 1892 verließ und im September 1913 von Paris zurückkehrte.
Danach lebte er in München und dann in Stuttgart. Als Beruf ist angegeben: „1. Stadtrat a.D.“ – diese Bezeichnung fi ndet sich auch im Stadtarchiv Ludwigsburg.

Christian Rehmenklau

 

 

Marta Pfitzer

geb. Vanderdell

Krank geworden an den Folgen des Kriegs

Keplerstraße 10

Geboren ist Marta Pfitzer am 6. Oktober 1891 in Freudenstadt. Sie ist das siebte von acht Kindern. Ungewöhnlich an ihrem Lebenslauf: Sie heiratet am 28. Februar 1914 in London. Ehemann ist Eugen Pfitzer, geboren 1883 in Bruch in Kreis Backnang, sein damaliger Beruf war Kellner.

Später arbeitet er als Fabrikaufseher bei der Firma Heinrich Franck Söhne in Ludwigsburg. Sie haben vier Kinder: Eugen (*1914), Richard (*1921), Johanna (*1922) und Else (*1926). Die Wohnung der Familie war in der Keplerstraße 10.

Als Todesdatum verzeichnet das Familienregister in Freudenstadt den 17. Juni 1940 – dieses Datum ist gefälscht: Marta wurde am 4. Juni 1940 nach Grafeneck verschleppt und am selben Tag umgebracht.

Das Bezirkskrankenhaus Ludwigsburg hatte 1930 die „Verbringung der Geisteskranken in eine Irrenanstalt“ beantragt. Als um Kosten für die Unterbringung in der Anstalt Weinsberg gestritten wurde, argumentierte ein Anwalt: Eugen sei  als deutscher Soldat von 1914 bis 1919 in englischer Gefangenschaft gewesen und Marta habe den Haushalt und das neu geborene Kind alleine versorgen müssen. Ihre Erkrankung sei ausschließlich auf die Folgen der Kriegsjahre zurückzuführen.

1938 hält die Anstalt Weinsberg fest: „Die Frau im ganzen allmählich etw. ruhiger, aber doch nicht wesentlich verändert, zu manchen Zeiten freundlich und lässt eine paar vernünftige Worte mit sich reden. Auch strebsam und fleißig, putzt aus eigenem Antrieb tägl. das Badezimmer der Abteilung. Steht aber nach wie vor unter Wahnideen, hat lebhafte Gefühlstäuschungen, lautes Schimpfen. Es vergeht keine Tag ohne solche Szenen. Von einer Heimholung ist dringend abzuraten.“

Am 8. Juni 1940 teilt die Heilanstalt Weinsberg der Ortsfürsorge Ludwigsburg mit, dass Marta Pfitzer im Rahmen umfangreicher Verlegungen, die mit der Kriegslage zusammenhingen, in eine andere Anstalt verlegt wurde. Dies war Grafeneck, wo sie ermordet wurde.

Christian Rehmenklau

Friederike Baudermann

… kennt den Namen unseres Königs nicht

Talstraße 11

Über Friederike Katharina Baudermann ist bekannt, dass sie am 11. Januar 1869 geboren wird – ob in Scharnhausen oder in Ludwigsburg, darüber gibt es verschiedene Angaben. Sicher ist den Unterlagen zufolge: Die Familie lebt in Ludwigsburg in der Talstraße 11.

In einem ärztlichen Zeugnis von 1911 heißt es, neben der Diagnose Schwachsinn: „ […] sie kann wohl lesen, dagegen kann sie nicht die einfachsten Rechenexempel lösen […]. Sie kennt den Namen unseres Königs nicht und nicht den der Königin, von Geschichte weiß sie gar nichts, von der Bibel beinahe nichts.“

Friederike Baudermann ist arbeitsfähig und wohnt um 1911 offenbar bei ihrer Familie. Eine Schwester wohnte in Breslau, eine andere in Aalen. Vielleicht aus diesem Grund wird sie 1911 von Ludwigsburg in die Diakonissenanstalt in Schwäbisch Hall eingewiesen. Wo hauptsächlich junge Frauen zu Diakonissen ausgebildet wurden, wohnten auch bis zu 500 behinderte Frauen und Kinder.

1940 werden von hier 256 Bewohner nach Weinsberg gebracht und von dort aus bald darauf an die Orte ihrer Ermordung transportiert. Friederike Baudermann ist eine von ihnen. Sie wird am 20. November 1940 von Schwäbisch Hall abtransportiert und im März 1941 von Weinsberg aus „in eine andere Anstalt verlegt“, wie es ihre Akte vermerkt.

Die Gedenkstätte Hadamar in Mittelhessen teilt mit: „Weinsberg war zu diesem Zeitpunkt eine sogenannte Zwischenanstalt für die Tötungsanstalt Hadamar. Von dort gelangte Frau Baudermann in einem Transport mit 80 weiteren Patienten am 10. März 1941 nach Hadamar. Die Patienten eines solchen Transports wurden in der Regel noch am Tag der Ankunft in die im Keller der Anstalt befindliche Gaskammer geschickt und ermordet.“

Die Anstalt Hadamar teilt Anfang Juni 1941 dem Städtischen Sozialamt Ludwigsburg mit, „[…] dass die Sozialrentnerin Friederike Baudermann, geb. 11. 1. 1869 in Ludwigsburg, am 30. März 1941 verstorben ist.“ In der Gedenkstätte weiß man aus trauriger Erfahrung: „Das damals offiziell mitgeteilte Todesdatum und die Todesursache wurden falsch angegeben, um Angehörige und Behörden zu täuschen.“

Gisela Scharlau

Martha Stauch

Eine junge Frau mit eigenem Sinn

Maxstraße 1

 

Martha Stauch erlitt im Sommer 1919 zum ersten Mal epileptische Anfälle. Als sie 14 Jahre alt geworden war, beschlossen ihre Eltern, sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Remstal unterzubringen.

Dort verbrachte sie zunächst vier Jahre. Sie wohnte dann für ein Jahr bei ihren Eltern in der Maxstraße 1. Von dort wurde sie zum dritten Mal in Stetten aufgenommen. Martha konnte zwar manchmal eine schwierige Patientin sein, sie hatte aber auch gute Seiten. Sie konnte gut lesen, schreiben und rechnen und beschäftigte sich oft mit Handarbeiten. Sie ging gern zur Kirche und da sie das Stettener Konfirmandenbüchlein verstand, konnte sie auch konfirmiert werden.

Martha führte gern und oft Selbstgespräche. Oft thematisierte sie dabei die zwei verschiedenen Seiten ihres Wesens. Manchmal stellte sie fest: „Bisch eba a Luader, Martha“, um dann wieder selbstbewusst zu sagen: “D’ Martha isch scho recht, die kaas eba.“

Im Mai 1940 wurde Martha von einer Krankenschwester in die geschlossene Heilanstalt Weiß enau eingeliefert. Am 5. Dezember 1940 wurde sie von dort nach Grafeneck deportiert und dort noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet..

andreas nothardt

Berta Frank

geb. Kurzenberger

„ohne vorherige Genesung“

Weimarstraße 3

Berta Kurzenberger ist am 7. Juli 1907 als siebtes und jüngstes Kind des Schreinermeisters Karl Friedrich Kurzenberger  und seiner Frau Christiane in Mundelsheim geboren. Dort ist sie in einer großen Handwerkerfamilie aufgewachsen. Ob Berta einen Beruf erlernt hat, ist nicht bekannt.

Im Mai 1931 heiratet sie Max Frank, Orgelbauer und Schreiner, aus Ludwigsburg. Gemeinsam mit den Schwiegereltern wohnt das junge Paar in der Weimarstraße 3 in Ludwigsburg.

Im Juli 1932 werden Berta und Max Frank Eltern einer kleinen Tochter, Lieselotte. Lieselotte ist zwei Jahre alt, als ihre Mutter wegen einer psychischen Erkrankung in die Heilanstalt in Weinsberg aufgenommen wird. Nach kurzem Aufenthalt kehrt Berta zu ihrer Familie nach Ludwigsburg zurück. Ihre gesundheitliche Verfassung bleibt auf Grund ihrer als schizophren bezeichneten Erkrankung instabil.

So wird sie, von März bis August 1935, erneut in der Heilanstalt in Weinsberg untergebracht. Danach ist sie ein halbes Jahr lang wieder bei ihrer Familie, bevor sie im März 1936, „auf Ansuchen der Angehörigen“, wie im Patientenblatt vermerkt ist, als ständige Patientin in der Heilanstalt untergebracht wird. Die kleine Tochter Lieselotte wird von den Großeltern betreut. Max Frank beantragt wegen der Erkrankung seiner Frau im Jahr 1938 die Scheidung.

Im Patientenbuch der Heilanstalt Weinsberg ist unter dem Datum vom 10. März 1941 der Austritt Berta Franks vermerkt. In der dafür vorgesehenen Spalte steht „verlegt“, „ungeheilt“. Damit wird die „Verlegung“ in eine Tötungsanstalt umschrieben.  Nach der vom Reichsinnenministerium im Herbst 1939 verordneten Erfassung aller Patienten in den Heilanstalten des Deutschen Reichs gehört Berta Frank zu den Menschen, deren Leben „unwert“ ist.

Am 10. März 1941 wird Berta Frank mit anderen Patienten der Heilanstalt Weinsberg in die Tötungsanstalt nach Hadamar gebracht und vermutlich unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet.

Der Stolperstein vor dem Gebäude  Weimarstraße 3, wo Berta Frank mit ihren Angehörigen vor der Einlieferung in die Heilanstalt gelebt hat, soll ein Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung sein, an Berta Frank und ihren gewaltsamen Tod.

Gudrun Kartstedt

Fanny Frank

40jährige Mutter wurde ermordet

Wernerstraße 20

Fanny Frank, geb. Katzenwadel, wurde am 18. Januar 1900 in Nussdorf (bei Vaihingen an der Enz) geboren. Sie war Hausfrau, evangelisch und mit Hans Frank, einem Kaufmannn in Ludwigsburg verheiratet. Ihre Eltern waren Karl Katzenwadel, Kaufmann, gestorben in Nussdorf und Pauline Sofie, geborene Schmidt, ebenfalls gestorben in Nussdorf.

Ihr letzter Wohnsitz in Ludwigsburg war in der Wernerstraße 20 in der Weststadt, dabei handelte es sich um eine Werkswohnung der Württembergischen Furnierwerke.

Fanny Frank erkrankte im Alter von 34 Jahren. Sie war in der Folge in verschiedenen Pflegeeinrichtungen. Am 24. Mai 1934 wurde sie „zum wiederholten Male ohne vorherige Genesung auf Ansuchen der Angehörigen aus dem Kreiskrankenhaus Ludwigsburg“ in der Privatklinik „Kennenburg“ in Esslingen aufgenommen.

Von hier kam sie am 17. August 1934 mit dem Vermerk „ungeheilt“ nach Göppingen. Sie blieb dort bis zum 30.  Juli 1938. Die Diagnose lautete Schizophrenie. Bei ihrem Austritt wurde vermerkt: „leicht gebessert“.

Schon wenige Tage später, am 4. August 1938 wurde sie „zum 2. Male ohne vorherige Genesung unmittelbar versetzt aus der Familie“. Sie war also nur vier Tage in Ludwigsburg bei der Familie, bevor sie wieder nach Göppingen kam. Dort blieb sie bis zum 21. Juni 1940, dann wurde sie nach Weinsberg verlegt.

Von hier wurde sie am 11. Dezember 1940 „ungeheilt“ entlassen, der neue Aufnahmeort wurde nicht genannt. Die Gedenkstätte in Grafeneck bestätigt, dass Fanny Frank am gleichen Tag, am 11. Dezember 1940, zusammen mit 74 anderen Menschen, in Grafeneck ermordet wurde. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Ludwigsburg.

Fanny Frank hatte eine Tochter namens Helene. Die Schwester von Fanny Frank war mit Albert Rees, dem Inhaber des in Ludwigsburg bekannten Spielwarengeschäftes, verheiratet. Hier arbeitete auch die Tochter Helene, die 1998 starb.

Christian Rehmenklau

Lydia Würth

Statt Schutz fand sie mit 44 den Tod

Möglinger Straße 4

Lydia Würth wurde am 15. Juni 1896 in Pflugfelden geboren. Die Familie wohnte in der Möglinger Straße 4. Sie war das vierte von zehn überlebenden Kindern. Die Familie war sehr arm, der Vater war Tagelöhner.

Im Alter von zwei Jahren erkrankte Lydia an einer Lungenentzündung. Eine geistige Beeinträchtigung hatte sie nach ärztlicher Meinung von Geburt an. Sie lernte sie erst mit zwei Jahren Stehen und Gehen und mit vier Jahren Sprechen.

In Pflugfelden wurde sie 1903 eingeschult und konnte nach mehr als einjährigem Schulbesuch, laut einem Bericht des Oberamtsarztes Zeller, im Oktober 1904 an den Fingern nur bis sechs richtig zählen. Oberamtsarzt Zeller diagnostizierte, dass Lydia „im mäßigen Grade schwachsinnig“ sei. Sie sei aber gutmütig und in einer Anstalt bildungsfähig. Körperliche Einschränkungen hatte Lydia Würth keine.

Im Mai 1905 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Stetten im Gärtnerhaus aufgenommen. Dort besuchte sie die Schule. Mit 14 Jahren wurde sie wohl ausgeschult. Sie half  beim Putzen und anderen Hausgeschäften. Lydia arbeitete wohl gerne und wurde als gute „Schafferin“ geschätzt.

1916 wurde Lydia Würth in die Landesarmenanstalt Markgröningen eingewiesen. Diese war wesentlich billiger als die Stettener Anstalt. Das Leben in Markgröningen während des ersten Weltkrieges und in den Jahren danach war hart.

Am 7. August 1940 wurde Lydia Würth in Grafeneck ermordet. Mit 74 weiteren Frauen hatten „graue Busse“ sie dorthin verfrachtet. Nach ihrer Ankunft dort musste sie sich wie die anderen Opfer ausziehen. Unter dem Vorwand des Duschens wurde Lydia Würth dann im Vergasungsraum ermordet. Das Vergasen der Opfer dauerte 20 Minuten und war für sie, wie für alle Opfer, ein qualvoller Kampf mit dem Tod.

Marc Haiber