Sara Ottenheimer

Die Nazis zerrissen ihre Familie

Mathildenstraße 8

  

Kompletter Text siehe «Jakob und Klara Greilsamer» – hier sind die Auszüge, die sich auf Klaras Mutter Sara Ottenheimer beziehen:

Vier Brüder aus der Familie des Josef Wolf Ottenheimer und seiner Frau Sara geb. Rothschild, gründeten um 1870 den Viehhandel «Gebrüder Ottenheimer» in der Vorderen Schloßstraße 25 (heute: Schloßstraße) in Ludwigsburg. Die jüdische Familie Ottenheimer stammte aus Gemmingen bei Eppingen. Zu dieser Zeit hatte die jüdische Gemeinde dort ihren höchsten Mitgliederstand. Als endlich auch in Württemberg die bürgerliche Gleichstellung der Juden Gesetz war, zogen viele jüdische Bürger aus den Dörfern in die Städte, so auch Moses, Abraham, Simon und Isaak Ottenheimer. Sie lebten von da an mit ihren Familien in Ludwigsburg. Bis zur Jahrhundertwende betrieb die «Gründergeneration» den Viehhandel, danach wurde er von deren Söhnen übernommen.
Josef S. Ottenheimer wurde als Sohn von Simon Ottenheimer und dessen Frau Nanette geb. Wolf 1861 in Gemmingen geboren. Seine Frau Sara war 1870, ebenfalls in Gemmingen, geboren. Sie war seine Cousine, die Tochter seines Onkels Isaak und dessen Frau Babette geb. Löwenthal. Josef und Sara hatten zahlreiche Geschwister.

Kolonialwaren und Zigarrenhandel en gros

Josef hatte sich nach dem Schulbesuch zum Kaufmann ausbilden lassen. Seinen Militärdienst absolvierte er zwischen 1879 und 1880 im Train-Batallion 13 in Ludwigsburg. Er gründete gemeinsam mit Emil Ottenheimer ein «Kolonialwaren- und Zigarrengeschäft en gros», das er an verschiedenen Standorten in Ludwigsburg betrieb. Ab 1910 war der «Zigarrenhandel en gros» in der Bahnhofstraße 9 untergebracht. Josef Ottenheimers Familie und weitere Familien der Ottenheimerschen Verwandtschaft wohnten bis 1938 im Hinterhaus der Bahnhofstraße 9.
Wilhelm, Klara und Hilde, die Kinder Josef und Sara Ottenheimers, haben ihre Kinderzeit wohl hauptsächlich am Reithausplatz 3 erlebt, dem vorherigen Wohnort der Familie, denn Wilhelm wurde 1892, Klara 1895 und Hilde 1896 geboren.
Die beiden Töchter besuchten in Ludwigsburg die Mädchenrealschule, das heutige Goethe-Gymnasium. Klara arbeitete dann in der Firma ihres Vaters als Kontoristin, später war sie Prokuristin der Württembergischen Papierzentrale.
Hilde besuchte die Handelsschule und arbeitete als Bürogehilfin bevor sie mit dem Studium begann. Über ihr Leben wird im Anschluss noch berichtet.
Wilhelm starb als Kriegsteilnehmer, 26jährig, im Oktober 1918 im Feldlazarett von Aincreville. Er wurde in Aincreville beerdigt.
Josef Ottenheimer war ein angesehener Bürger der Stadt und aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde. Er war in mehreren Ehrenämtern tätig, so als Vorsteher des israelitischen Wohltätigkeitsvereins und als erster Vorsitzender des Gemeindevorsteheramts. Dem Ludwigsburger Kriegerverein gehörte er ebenfalls viele Jahre an.

Die Württembergische Papierzentrale

Den «Zigarrenhandel en gros» musste Josef Ottenheimer 1923 wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse aufgeben. Es gelang ihm, zusammen mit Jakob Greilsamer, 1925 eine neue Firma zu gründen, die Württembergische Papierzentrale, Großhandel mit Packpapier und Papierwaren zu Verpackungszwecken.
Zuhause versorgte Großmutter Sara die Kinder und den Haushalt. Sie war eine ausgezeichnete Köchin. Besonders an seine Lieblingsspeisen Kartoffelsalat und Nudelsuppe erinnert sich ihr Enkel. Auch eine alte Ludwigsburgerin, die fast täglich bei Familie Greilsamer nach der Schule vorbei schaute und Spielkameradin von Hannah Greilsamer war, schwärmt noch heute vom guten Apfelkuchen der Großmutter. Zum großen, parkähnlichen «Bronners Garten» hatten die Kinder freien Zutritt zum Spielen. Er befand sich im Dreieck Bahnhof,- Mylius,- Schillerstraße.
1934 zog die Firma in das Hinterhaus der Myliusstraße 15 um. Noch vier Jahre konnte die Württembergische Papierzentrale von Josef Ottenheimer und Jakob Greilsamer betrieben werden, bevor die Naziherrschaft im Jahr 1938 allen noch in Ludwigsburg lebenden jüdischen Bürgern die berufliche Existenz zerstörte.

Emigration und Deportation

Die Versorgung mit Nahrungsmitteln wurde für die jüdischen Familien durch Rationierungen und das Verbot in deutschen Geschäften einzukaufen, immer schwieriger. Auf eigene Gefahr war das Ehepaar Saenftl, das an der Ecke Mathilden-/Solitudestraße eine Kolonialwarenhandlung hatte, bereit, die Familien Greilsamer und Ottenheimer mit Lebensmitteln zu versorgen.

Im Zuge der Einweisung älterer jüdischer Menschen in Altenheime musste Sara Ottenheimer 1941 nach Dellmensingen übersiedeln.

Sara Ottenheimer ist am 19. Oktober 1944 von Theresienstadt nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet worden.

Auf der großen Gedenktafel der Gedenkstätte am Stuttgarter Nordbahnhof sind auf der langen Liste der Deportierten auch die Namen von Sara Ottenheimer, Heinz und Klara Greilsamer eingraviert.

Zur Stolperstein-Verlegung am 7. Oktober 2009 wurde Harry Grenville von seiner Tochter Jane, der Schwiegertochter Maureen, der Enkelin Anna und den Söhnen Andrew und John begleitet.

Die Begegnung mit Familie Grenville hat bei uns, den Mitgliedern der Stolperstein-Initiative Ludwigsburg, einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Harry Grenville und seine Familie haben uns die Hand zur Aussöhnung gereicht.

Bildquelle Portrait Sara Ottenheimer: Stadtarchiv Ludwigsburg

 

Adolf und Henriette Ottenheimer

Als Nachbarn zu „Volksfeinden“ wurden

Hoferstraße 23

Henriette Eichengrün wurde am 23. August 1878 in Westfalen geboren, Adolf Ottenheimer am 4. Februar 1870 in Gemmingen. Er zog mit seinen Eltern 1872 nach Ludwigsburg, wo er das einjährige Examen ablegte und dann mit Alteisen und Metallen, mit Lumpen sowie mit Vieh handelte. Am 11. März 1907 schlossen Adolf und Henriette in Westfalen die Ehe und ließen sich in Ludwigsburg nieder. Am 15. Februar 1908 wurde ihre Tochter Ruth geboren.

Die Familie Ottenheimer wohnte ab 1934 in der Hoferstraße 23, die damals nach dem nationalsozialistischen Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr benannt war. Adolf handelte weiterhin mit Vieh und auch en gros mit Alteisen.

Ab 1938 wird auch das Ehepaar Ottenheimer Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Adolf muss seinen Betrieb einstellen und beide müssen den Judenstern tragen, um als „Volksfeinde“ erkennbar zu sein. Sie beschließen, Deutschland zu verlassen und beantragen Reisepässe; ihre Tochter Ruth besorgt von New York aus Visa und Schiffskarten nach New York, aber die nationalsozialistische Regierung verweigert die Ausreise.

Am 21. August 1942 beginnt für Henriette und Adolf Ottenheimer die qualvolle Fahrt in den sicheren Tod. Sie werden ins Ghetto Theresienstadt und dann ins Konzentrationslager Treblinka verfrachtet. Dort erwartet sie der Todestransport in das Vernichtungslager Maly Trostinec bei Minsk. Das Ludwigsburger Ehepaar Henriette und Adolf Ottenheimer kommt am 5.  Oktober 1942 an diesem Ort des Grauens an – sie werden wie die anderen Deportierten sofort erschossen und in ein Massengrab geworfen.

Andreas Nothardt

Bildmontage unter Verwendung von Portraits von Henriette und Adolf Ottenheimer aus dem Bestand des Stadtarchivs Ludwigsburg

 

Florina Ottenheimer

Der Leidensweg einer Ludwigsburgerin

Bei der Katholischen Kirche 2

 

«Liebe Tante Flora!

Wir wundern uns sehr, schon so lange nichts von Dir zu hören, und auch Neuwirths (anmerkung: Eltern der Schwiegertochter), bei denen wir angerufen, haben in letzter Zeit nichts von Dir erhalten.

Hoffentlich bist Du immer in guter Gesundheit. Vor circa vier Wochen haben wir ein Päckchen mit Zuckerle und Obst gesandt und hat Mutter ein Briefle dazu geschrieben, aber bis heute haben wir keine Empfangsanzeige von Dir erhalten, was uns sehr wundert, da wir das von Dir nicht gewohnt sind ….»

Diese Zeilen schrieb Jakob Greilsamer aus Ludwigsburg am 23. August 1940, gerichtet an seine Tante Florina Ottenheimer in die Heilanstalt Zwiefalten. Sie erreichten sie nicht mehr.

Als letzter Eintrag im Aufnahmebuch der Heilanstalt Zwiefalten steht in der Spalte «Tag des Austritts: 13. 8. 1940 verlegt.» An diesem Tag geht ein Transport mit insgesamt fünfundsiebzig Frauen nach Grafeneck. Auf der Verlegungsliste steht an fünfzehnter Stelle ihr Name, ihr Geburtsdatum und die Nummer aus der Verpflegungsgeldliste. Die Frauen wurden wohl unmittelbar nach ihrer Ankunft am 13. August 1940 durch giftiges Gas ermordet.

Florina Ottenheimer war 64 Jahre alt, als sie im Zuge der «Aktion T4» ermordet wurde. Unter dieser harmlos scheinenden Bezeichnung wurde das erste groß angelegte Mord-Programm der deutschen Nazis bekannt: Über 100.000 Psychiatrie-Patient/innen und Menschen mit Behinderung wurden gezielt und mit viel krimineller Energie ermordet. Das leitende Büro für diese Aktion war in Berlin im Haus Tiergartenstraße 4 – daher die Abkürzung «T4».

Florina Ottenheimer, geborene Bloch, die Tochter eines jüdischen Handelsmannes und Landwirts, wurde als neuntes von vierzehn Geschwistern am 20. Juni 1876 im Hegaudorf Randegg geboren.

Die Randegger Juden besaßen schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts eine eigene Synagoge und eine kleine jüdische Schule. Florina wurde mit ihren Geschwistern streng orthodox erzogen. Sie besuchte die Simultanschule für christliche und jüdische Kinder.

Mehrere ihrer Randegger Verwandten waren nach Karlsruhe verzogen. Vermutlich konnte sie bei einer der Familien wohnen und besuchte deshalb zur weiteren Ausbildung die höhere Mädchenschule in Karlsruhe.

Am 10. April 1899 heiratete Florina in Ludwigsburg den jüdischen Handelsmann und Viehhändler Gustav Ottenheimer. Im Jahr darauf, am 24. Oktober 1900, wurde ihr Sohn Julius geboren. Julius blieb das einzige Kind des Ehepaares. Die Familie wohnte im zweiten Stock des Hauses Bei der Katholischen Kirche 2.

Aufopferungsvoll für andere

Bei der aufopfernden Pflege ihrer schwerkranken Schwiegermutter Nanette Ottenheimer überanstrengte sich Florina körperlich und psychisch. Nach dem Tod der Schwiegermutter – sie starb im Februar 1914 – machte Florina sich schwere Vorwürfe, sie nicht ausreichend versorgt zu haben und für ihren Tod verantwortlich zu sein.

Zur Behandlung ihrer depressiven Zustände wurde Florina im September 1914 in die Heilanstalt Kennenburg bei Esslingen eingewiesen. Der Aufenthalt dort dauerte weit über ein Jahr. Am Neujahrstag, dem 1. Januar 1916, wurde sie entlassen. Aus den Krankenunterlagen geht hervor, dass Florina seit ihrer Jugend unter Schwerhörigkeit litt, über Lärm und Stimmen klagte und deshalb nervös wirkte. Florina war in Kennenburg sehr unglücklich und wünschte sich nichts sehnlicher, als zu ihrer Familie zurückkehren zu dürfen.

Florinas Ehemann Gustav Ottenheimer verstarb am 12. September 1927 im Alter von 59 Jahren. Er wurde auf dem neuen israelitischen Friedhof in Ludwigsburg bestattet.

Die gefährliche «Irrendatei»

Angeblich wegen auffälligen Verhaltens stellte die Kreispflege Ludwigsburg am 12. September 1938 einen Antrag auf Unterbringung Florinas in eine Heilanstalt, die Aufnahme sei «dringend notwendig.» Ein Jahr später, am 20. September 1939, wurde Florina in die Heilanstalt Zwiefalten eingewiesen, die «Sammelstelle» für jüdische Patienten war.

Es ist erwiesen, dass in den 1930er-Jahren eine sogenannte «Irrendatei» erstellt wurde. Die Daten aller Patienten, die seit 1900 in Heilanstalten untergebracht waren, wurden gesammelt. Daraus wurden Listen von ungefähr 100.000 Personen erstellt, die im Sinne der nationalsozialistischen Rassenideologie «abgearbeitet» wurden.

So war auch Florinas Aufenthalt in der Heilanstalt Kennenburg samt Krankenunterlagen «aktenkundig». Die Kosten für die Unterbringung und die Pflege Florinas in Zwiefalten musste die israelitische Gemeindepflege Stuttgart bezahlen. Seit Mitte der 1930er-Jahre waren jüdische Patienten und Patientinnen von der öffentlichen Wohlfahrtspflege ausgeschlossen.

Ein ehemaliger Assistenzarzt von Zwiefalten beschreibt die katastrophalen Zustände zu Beginn des Jahre 1940 mit folgenden Worten: »Hunderte von Patienten warteten in notdürftigen Unterkünften (auf blankem Stroh).»

Der Leidensweg vieler Patienten endete vor dem Weitertransport.

Es gibt fast keine Belege für die Zeit, in der Florina in Zwiefalten war. Ihre Krankenakten wurden dem Transport nach Grafeneck mitgegeben und an die «Zentrale Tötungsorganisation Berlin» weitergeleitet.

In den sogenannten «Nachakten» in Zwiefalten befindet sich eine Liste, in der allmonatlich vom Tag ihrer Aufnahme bis zu ihrer Verlegung ihr Körpergewicht vermerkt wurde, das Kleiderverzeichnis, in dem ihre persönlichen Gegenstände bei der Aufnahme registriert wurden, ihre Kennkarte für Juden und der bereits erwähnte Brief ihres Neffen Jakob, der hier ungekürzt zu lesen ist:

Im Frühjahr 2010 nahm die Stolperstein-Initiative Ludwigsburg ein Päckchen aus England in Empfang; der Absender war Harry Grenville, Jakob Greilsamers Sohn. Es enthielt ein Buch, das einst Florina Ottenheimer gehört hatte:

«Jerusalem» steht auf dem Buchdeckel, der aus Nussbaumholz angefertigt wurde. Beim Aufschlagen entdeckt man den Inhalt: «Blumen des Heiligen Landes». Kunstvoll gepresste Pflanzen sind eingeklebt und nach über hundert Jahren noch unversehrt.

Die Widmung lautet: Der Erzneschumme Flora Bloch. «Neschumme» ist das jiddische Wort für Seele. Mit der verstärkenden Silbe «Erz…» davor – könnte dies nicht ein Hinweis auf einen sehr empfindsamen Menschen sein, der Florina war?

Gudrun Karstedt, Anita Wesner
Quellen:
Joachim Hahn, Jüdisches Leben in Ludwigsburg; Karlsruhe 1998
Hermann J. Pretsch (Hrsg.): Euthanasie – Krankenmorde in Südwestdeutschland Zwiefalten 1996
Susanne Rueß, Stuttgarter jüdische Ärzte während des Nationalsozialismus; Würzburg 2009
Archiv Zwiefalten
Stadtarchiv Ludwigsburg
Staatsarchiv Ludwigsburg
Staatsarchiv Sigmaringen
Harry Grenville

Fotos oben: Stolperstein-Stadtführung 2009 vor dem Haus „Bei der katholischen Kirche 2“;
Portrait von Florian Ottenheimer; Original aus dem Bestand des Stadtarchivs Ludwigsburg

 

Antonie Orthal

Keine letzte Rückkehr nach Ludwigsburg

Meraner Straße 3

Antonie Orthal, genannt Toni, wurde am 23. November 1887 als Tochter von Adolf und Fanny Elsas in Ludwigsburg geboren.

Am 29. Juli 1910 heiratete sie Dr. Heinrich Orthal, einen Rechtsanwalt aus Nürnberg. Ihre zwei Kinder Eugen, geboren am 1. September 1911, und Berthold, geboren am 23. August 1916, wanderten im Jahr 1935 nach Palästina aus, um in einem Kibbuz zu leben und zu arbeiten.

Der plötzliche Tod ihres Mannes Heinrich 1934 veranlasste Antonie, zurück nach Ludwigsburg zu ziehen. Zusammen mit ihr kam ihre Mutter Fanny, die nach dem Tod ihres Mannes Adolf 1933 bei Antonie in Nürnberg gewohnt hatte, ebenfalls zurück nach Ludwigsburg. Antonie Orthal lebte zuletzt in der Meraner Straße 3. Ihre Söhne besuchte sie 1937 und 1938 in Palästina, kam jedoch jedes Mal zurück nach Ludwigsburg, um ihre Mutter zu pflegen.

Nach der Pogromnacht 1938 beschlossen die beiden Frauen, ebenfalls nach Palästina auszuwandern. Im Jahr 1939 gelang Antonies Mutter unter großem Glück noch die Ausreise, Antonie dagegen musste in Deutschland bleiben.

Der zwangsweisen Umsiedlung in das jüdische «Altersheim» in Eschenau 1941 folgten kurze Aufenthalte in Stuttgart, Haigerloch und Oberdorf. Dort wurde auch ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt.

Am 22. August 1942 wurde sie ins KZ Theresienstadt deportiert und war dort als Krankenschwester tätig. Bei ihrer Arbeit versorgte sie unter anderem ihren Onkel Max Elsas, der zur gleichen Zeit nach Theresienstadt deportiert worden war und dort nach wenigen Wochen starb.

Am 19. Oktober 1944 wurde Antonie Orthal mit dem Todestransport «Es» nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Schüler/innen und Schüler des Geschichtskurses 2007/2008 am Goethe-Gymnasium Ludwigsburg

 

Bei der Verlegung des Stolpersteins für Antonie Orthal im September 2008 trugen die Schülerin Lisa Graf und Geschichtslehrerin Verena König unter anderem vor:

«(…) Als ich begann, mich mit dem Menschen Antonie Orthal zu beschäftigen, fiel mir zuerst auf, wie hilfsbereit sie sich, ungeachtet ihrer persönlichen Situation, gegenüber anderen Menschen verhielt und wie sehr sie sich um ihre Familie kümmerte. Sie ermöglichte ihren beiden Söhnen die Auswanderung nach Palästina, blieb jedoch selbst zurück, um ihre kranke Mutter zu pflegen.

(…) Woher könnte Antonies Liebe zu den Menschen kommen? Sicher hatte sie als Tochter der angesehenen Familie Elsas in Ludwigsburg eine behütete Kindheit. Als sie 1887 geboren wird, existiert die Höhere Mädchenschule, das heutige Goethe-Gymnasium, als Städtische Schule fünf Jahre und bietet den Mädchen eine gute Bildung.

Ausgerichtet war diese auf ein Leben als Ehefrau und Mutter. Zehn Prozent aller Schüler/innen waren Töchter jüdischer Bürger der Stadt Ludwigsburg. Gerade diese wollten diese Bildung für ihre Töchter.

(…) Für uns Ludwigsburger ist besonders bemerkenswert, dass es Antonie immer wieder nach Ludwigsburg zurück zog. (…)»

Fotos oben: Portrait Antonie Orthal, Original aus dem Stadtarchiv Ludwigsburg.
Verlegung des Stolpersteins für Antonie Orthal am 27. September 2008, unter anderem mit Ludwigsburgs Erstem Bürgermeister Konrad Seigfried.

Sofie Oetinger

Eine Hausfrau wird in Grafeneck mit Gas ermordet

Schützenstraße 20


Sofie Weber wird am 8. November 1881 als drittes Kind des Weingärtners Daniel Friedrich Weber und seiner Frau Elisabeth Catharina geb. Göhring in Mundelsheim geboren.
Sie besucht die Volksschule und ist anschließend bis zu ihrer Heirat mit Gustav Oetinger aus Erdmannhausen am 9. November 1907 als Dienstmädchen tätig.
Ihr Mann dient fast 20 Jahre im Württembergischen Heer und macht den gesamten Ersten Weltkrieg mit. Spätestens ab 1925 wohnt das Ehepaar, das kinderlos bleibt, in Ludwigsburg in der Schützenstraße 20.
Bis 1920 ist Sofie eine fröhliche, ausgeglichene Frau. Ab dieser Zeit beginnen den Akten zufolge Angstzustände, Psychosen, Nahrungsverweigerung und religiöse Wahnvorstellungen, die zu kurzen Krakenhausaufenthalten führen. Immer wieder wird sie von ihrem Mann nach Hause geholt, sogar gegen ärztlichen Rat, bis sich 1929 ihr Krankheitsbild so verschlechtert, dass sie in die Heilanstalt Weinsberg eingeliefert wird. Dort lebt sie bis zu ihrer „Verlegung“. Die Diagnose lautet: „Katatonie“ (Schizophrenie mit Anfällen).
Am 19. August 1940 wird sie im Alter von knapp 59 Jahren mit etwa 70 weiteren Personen aus Weinsberg in Grafeneck ermordet. Der Familie wird eine gefälschte Todesurkunde zugestellt. So ist man zunächst der Meinung, man habe die Kranke noch nach Brandenburg an der Havel verschleppt. Dass sie ermordet wurde, ist schon bald bekannt. Später erfährt die Familie auch den richtigen Todesort – Grafeneck.

Gisela Scharlau

Margarete Michelfelder

Ein Kind auf der Liste der Mörder

Benzengasse 10

Die Verlegung dieses Stolpersteins erhielt durch die begleitende Musik von Mitgliedern der Brenz-Band unter ihrem Leiter Horst Tögel einen besonderen Rahmen. Man spürte, dass die behinderten Musiker der Band von dem Schicksal der Margarete Michelfelder tief ergriffen waren. Auch die Anwesenheit zweier Cousinen und einer Nachbarin Margaretes aus der Benzengasse, die in ihrer Kindheit mit ihr eng befreundet waren und mit ihr gespielt haben, trugen zu der außergewöhnlichen Atmosphäre der Veranstaltung bei.

Margarete Michelfelder wurde am 28. Oktober 1934 in Ludwigsburg in der Gneisenaustraße 14 nahe der Talallee geboren.
Sie erkrankte früh an einer Hirnhautentzündung, die bald zu einer geistigen Behinderung führte. Wie die noch lebenden Verwandten berichteten, war sie ein ganz liebes, nettes und umgängliches kleines Mädchen. Und auch eine noch lebende Nachbarin und Freundin aus Kindertagen bestätigte mit allem Nachdruck: Die kleine Margarete war ein ganz, ganz liebes und herzensgutes Kind.

Der Besuch einer Schule war ihr allerdings verwehrt, weil ihre Behinderung zur Folge hatte, dass sie nicht sprechen konnte. Hingegen war ihr Gehör nicht beeinträchtigt, so dass sie am Geschehen des Alltags durchaus teilnahm.
Hätte es die Brenz Band schon damals gegeben, dann hätte sie sicher mit Begeisterung zugehört und sich gewünscht, auch bald ein Instrument, vielleicht eine Mundharmonika, spielen zu lernen, um dann all das, was sie mit Worten nicht sagen konnte, mit Musik auszudrücken.

Ihre Kindheit verlebte Margarete im Kreis ihrer Familie, die 1940 in das eigene Haus in der Benzengasse 10 zog (der Vater wurde während des Krieges Soldat und kam erst nach 1945 aus der Kriegsgefangenschaft wieder nach Hause). Von Pflugfelden aus erfolgten mit Mutter und Schwester häufig Besuche der Verwandtschaft in Höpfigheim.

Nach vorliegenden Unterlagen wurde Margarete Michelfelder am 16. Juni 1943 in die Landesanstalt Eichberg bei Wiesbaden eingeliefert, wobei davon auszugehen ist, dass sie direkt von Pflugfelden zwangsweise nach dort verbracht wurde. Damals sagte man dazu: Sie ist «abgeholt» worden.

Sie wurde also aus dem vertrauten Umfeld ihrer Eltern und ihrer Schwester, in dem sie wohlbehütet lebte, jäh herausgerissen. Was dieser Schock für ein Kind bedeutet, das ohnehin durch seine Behinderung ohne Unterstützung im Alltag völlig hilflos ist, kann man bestenfalls erahnen.

Die Anstalt Eichberg war im großen Umfang am so genannten Euthanasieprogramm der Nazis beteiligt. Sie unterhielt unter anderem eine «Kinderfachabteilung» – dort wurden in Wahrheit viele Kinder getötet.

Am 14. Juli 1943, also bereits einen Monat nach ihrer Einlieferung musste auch Margarete mit gut achteinhalb Lebensjahren in der Anstalt Eichberg ihr Leben lassen, weil sie den Anforderungen des verbrecherischen Naziregimes nach lebenstüchtigen und leistungsfähigen Menschen nicht genügte. Mit anderen Worten: Sie war aus der damaligen menschenverachtenden Sicht ein überflüssiger Schmarotzer, der für die nationalsozialistische Volksgemeinschaft lediglich eine Belastung war und nur Geld und Nahrungsmittel kostete.

Der Mord an ihrem Kind brachte den Eheleute Michelfelder großes Herzeleid. Nur so ist es zu erklären, dass sie es erreichen konnten, dass ihnen der Leichnam des Kindes zur Bestattung herausgegeben wurde. Wie namhafte Erforscher des NS-Euthanasie-Programmes bestätigen, waren die Verantwortlichen der betreffenden Anstalten immer dann bereit, dieses Zugeständnis zu machen, wenn die Angehören hartnäckig genug die Herausgabe ihres Kindes verlangten. Der Grund war, dass man alles vermeiden wollte, was in der Öffentlichkeit zu einer Diskussion über die Tötungspraktiken hätte führen können.

So wurde es möglich, dass Margarete Michelfelder am 21. Juli 1943 nachmittags 3 Uhr im Friedhof Pflugfelden bestattet werden konnte. Die Grabrede hielt der Pflugfelder Stadtpfarrer Haug, der dafür Markus 10,14 («Lasset die Kindlein zu mir kommen») gewählt hatte.

Die offizielle Todesursache, die von der Anstaltsleitung Eichberg angegeben und von Pfarrer Haug in das Kirchenregister eingetragen werden musste, lautet: «schwachsinnig infolge Gehirnhautentzündung, Tod durch Lungenentzündung und Herzlähmung».

Diese Begriffe dürften aus den zynischen auch in den KZ üblichen Listen stammen, die von den Naziverbrechern willkürlich für die Angabe von Todesursachen verwendet wurden, wenn es darum ging, die wahre Todesursache Mord zu verschleiern.

Im gleichen Zusammenhang muss die Tatsache gesehen werden, dass nach mündlicher Überlieferung der Sarg des Mädchens nicht geöffnet werden durfte.

Dieser Stolperstein soll jeden, der an diesem Haus vorbeigeht, an das Schicksal und an den Tod des behinderten Kindes Margarete Michelfelder erinnern, das ein Opfer der verbrecherischen Nazidiktatur wurde. Und er soll zugleich Mahnung für uns alle sein, wachsam zu bleiben, damit es sich nicht wiederholen kann, dass Menschen wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Behinderung verfolgt und getötet werden.

Gottfried Pampel

Fotomontage oben: Gebäude Benzengasse 10 im Jahr 2008

 

Bisher nicht bekannte Einzelheiten zum Schicksal von Margarete Michelfelder zeichnet Christian Hofmann in seiner Veröffentlichung auf:

Kinder – „Euthanasie“ und das Gesundheitsamt Ludwigsburg  

Opferschicksale aus Ludwigsburg geben Einblicke in die Bürokratie der Vernichtung im Nationalsozialismus

Ludwigsburger Geschichtsblätter Band 75/2021

Seite 140-173

Darin enthalten:  Einzelschicksale aus Ludwigsburg

Erna Wolf – Hans Mayer – Anita Henk

Margarete Michelfelder – Charlotte Schörg

 

Christian Hofmann stellt fest, dass Margarete Michelfelder, bevor sie am 16. März 1943 auf Anordnung des Reichsausschusses in Berlin in die Heilanstalt Eichberg gebracht werden musste, ab 6. März 1943 in der kirchlichen Anstalt Heggbach gelebt hat. Gegen den Willen ihrer Mutter musste sie von dort abgeholt werden.

Siegmund und Fanny Meyer

Züge in das Leben, Züge in den Tod

Richard-Wagner-Straße 1

Siegmund Meyer heiratete am 30. April 1900 Fanny, geborene Löwenthal, in Ludwigsburg. Siegmund Meyer war Viehhändler wie sein Vater Abraham Meyer aus Bibra (Thüringen) und sein Schwiegervater Albert Löwenthal aus Talheim bei Heilbronn. Geboren wurde Siegmund Meyer am 23. März 1869 in Bibra, Fanny am 5. November 1877 in Talheim.

Viehhändler war aus historischer Sicht kein seltener Beruf unter der jüdischen Bevölkerung. Fast alle Juden in Deutschland durften bis zur Emanzipation (Gleichstellung mit den Christen, 1797 – 1918 ) kein Land besitzen. Zudem waren ihnen lange Zeit handwerkliche Berufe verwehrt, wodurch den Juden nur der Handel blieb, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. So wurde der Viehhandel regelrecht zum jüdischen Monopol. Die Handelstätigkeit hat wichtige Funktionen im ländlichen Bereich erfüllt. Sowohl für die christlichen Bauern, die Viehhändler und die Abnehmer des Viehs. Noch im Jahre 1917 waren von 40.000 Viehhändlern in Deutschland 25.000 Juden.

Familie Meyer wohnte zuerst in der Eberhardstraße 27, wo es im Hinterhof Stallungen für das Vieh gab, und dann in der Richard-Wagner-Straße 1. Hier war im II. Stock bis Anfang 1939 der letzte frei gewählte Wohnort. Bereits ab 17. Februar 1937 wurden jüdische Viehhändler von Viehmärkten ausgeschlossen. Siegmund Meyer war beim ersten erzwungenen Umzug in die Seestraße 75 von Mai bis November 1939 bereits 70 Jahre, seine Frau Fanny 61 Jahre alt.

Vom 30. April 1939 an wird der Mietschutz von Juden gelockert und es werden vorzeitige Kündigungen erlaubt. An Juden vermietete Wohnungen müssen gemeldet werden. Ab 8. August 1939 müssen sämtliche Juden, die in Häusern von arischen Besitzern wohnen, zum 1. Dezember 1939 eine Wohnung in jüdischem Hausbesitz suchen. Dies war nicht nur ein weiterer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, sondern ermöglichte auch den einfachen Zugriff der Gestapo auf die Juden.

Die Seestraße 75, heute Hohenzollernstr. 3, diente nach dem organisierten Brand der Ludwigsburger Synagoge in der Reichs-Pogromnacht als jüdisches Gemeindehaus. Ab jetzt beginnen für Meyers diverse Zwangsumzüge: zur Tochter Rita nach Heilbronn vom November 1939 bis Januar 1940, anschließend von Januar 1940 bis Dezember 1941 wieder nach Ludwigsburg in die Seestraße 75.

Weitere folgen: nach Stuttgart am 16. Dezember 1941, nach Baisingen am 22. Dezember 1941, dann nach Dellmensingen 1942 und am Ende nach Theresienstadt. Ziel aller Umzüge war: den Zusammenhalt der jüdischen Familien zu schwächen, der deutschen Bevölkerung etwas vorzuspielen, die Juden zu demütigen, von der deutschen Bevölkerung zu trennen und zu ghettoisieren.

Familien werden in Not gebracht

Am 22. August 1942 werden Fanny und Siegmund Meyer von Stuttgart mit dem Transport VIII/1 in das KZ Theresienstadt verschleppt. Dieses Konzentrationslager wurde bereits 1940 nach der Besetzung Böhmen und Mährens eingerichtet. Nach der sogenannten «Wannsee-Konferenz» 1942 wurden in das Lager auch alte oder als prominent geltende Juden aus Deutschland und anderen besetzten Gebieten deportiert.

Die NS-Propaganda im Deutschen Reich verklärte Theresienstadt zum «Altersghetto». Es diente als Gestapogefängnis, Transitlager (etwa 88.000 Häftlinge wurden nach Auschwitz oder andere Todeslager gebracht) und Vernichtungslager (hier starben etwa 33.000 Gefangene).

In Theresienstadt ermordet
Siegmund Meyer ist am 2. Februar 1943 in Theresienstadt mit 73 Jahren umgekommen.

Fanny Meyer überlebte Theresienstadt. Mit dem einzigen Freiheitstransport aus dem KZ Theresienstadt am 5. Februar 1945 (Zugnummer EW 182 T) über Konstanz nach Kreuzlingen in der Schweiz. Nach unterschiedlichen Auffanglagern reist sie 1946 zuerst nach Argentinien, dann zum Sohn Arthur nach Uruguay aus. Sie stirbt am 24. Februar 1949 mit 72 Jahren.

Tochter Rita und Schwiegersohn Karl Kahn (letzter Kantor der Synagoge Heilbronn) werden ebenfalls am 22. August 1942 von Stuttgart nach Theresienstadt und 1944 nach Auschwitz weitertransportiert. Beide werden am 6. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet. Den gemeinsamen Sohn Hans Kahn (geboren am 11. Februar 1930 in Heilbronn) schicken sie am 4. Mai 1939 mit einem Kindertransport nach England und retten ihm so sein Leben.

Anmerkung des Verfassers: Meine Urgroßeltern Familie Mühlbach hatten in Marbach eine Weinstube und Bäckerei in der Marktstraße 15 und waren sowohl geschäftlich als auch privat mit den Meyers aus Ludwigsburg verbunden. Sie kauften ihr Schlachtvieh beim Viehhändler Meyer. Meine Mutter Emilie Kretschmann, geborene Klumpp, Jahrgang 1931, erzählte mir von regelmäßigen Spaziergängen mit ihren Großeltern Mühlbach über die Felder zwischen Marbach und Poppenweiler. Dort versteckte das Ehepaar Mühlbach jedes Mal Lebensmittel auf einem ihrer Felder – immer an der gleichen Stelle – für den «Jud Meyer» aus Ludwigsburg. Ende 1939 werden die Lebensmittel nicht mehr abgeholt.
Thorsten Klumpp

Foto oben: Richard-Wagner-Straße 2010. Bildmontage unter Verwendung von Portraits von Fanny und Siegmund Meyer aus dem Bestand des Stadtarchivs Ludwigsburg.
Foto unten: Stolpersteinverlegung April 2010

Franz Martin

Folteropfer im «Hotel Silber»

Bietigheimer Straße 21

Franz Anton Martin wurde am 6. März 1905 in Empfingen im Kreis Tauberbischofsheim als Sohn einer Arbeiterfamilie geboren. Er erlernte den Beruf des Tischlers. Schon früh gehörte er der Gewerkschaft an und war ein aktives Mitglied der KPD.

Am 10. März 1932 heiratete er Gertrud Pfleiderer, wobei aus dieser Ehe keine Kinder hervorgingen. Das Ehepaar wohnte in der Bietigheimer Straße 21 in Ludwigsburg. Zu der Zeit war er bei der Schreinerei Jenner & Söhne in Ludwigsburg beschäftigt, wo er bis zu seiner Verhaftung blieb.

Nach der Machtergreifung der Nazis setzte Franz Martin seine politische Tätigkeit in der kommunistischen Arbeiterbewegung in der Illegalität fort. In seiner Wohnung in der Bietigheimer Straße wurden viele Jahre später, lange nach dem Ende der faschistischen Herrschaft, Unterlagen der kommunistischen Partei hinter einem Küchenschrank gefunden. Wie man sich im «Täle» berichtete, durchaus zum Schrecken seiner Vermieterin, die sich ausmalte, was passiert wäre, wenn das Material bei einer der Hausdurchsuchungen seinerzeit entdeckt worden wäre.

Bei seiner illegalen Arbeit wurde Franz Martin als Kurier und Verbindungsmann zu verschiedenen Widerstandsgruppen eingesetzt. Sein ganzes «Büro» brachte er in mehreren Streichholzschachteln unter, so dass er notfalls sämtliche Unterlagen schnell und unauffällig vernichten konnte.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen wurde er am 10. November 1935 durch die Gestapo verhaftet und in der Gestapo-Zentrale im «Hotel Silber» in der Stuttgarter Innenstadt festgehalten.

Als Grund für die Schutzhaft wurde angegeben: «Das Ergebnis der Ermittlungen ergab, dass der Beschuldigte sich illegal für die KPD betätigt hat. Seine Tätigkeit bedeutet Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.»

Die folgenden 20 Monate verbrachte Franz Martin in Untersuchungshaft, hier besuchte ihn Gertrud, seine Frau.

Die Folgen der Haft waren schlimm. Schwere Misshandlungen durch die Gestapo führten zu einer zersplitterten Kniescheibe. Er konnte sich nur noch hinkend fortbewegen. Das Landgericht Stuttgart urteilte: «Verurteilung wegen Vorbereitung zum Hochverrat» – Franz Martin wurde politisch verfolgt wegen antifaschistischer Betätigung als überzeugter Kommunist.

Seine Verurteilung führte zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus in Ludwigsburg. Nachdem das Zuchthaus durch fortlaufende Verhaftungswellen überfüllt war, wurde Franz Martin für drei Monate ins KZ Welzheim verschleppt.

Im Jahre 1939 wurde er für fünf Monate ins KZ Dachau und danach ins KZ Mauthausen für vier Monate gebracht.

Am 5. Januar 1940 starb Franz Martin dort, die angebliche Todesursache: «Nichteinhaltung der Diät».

Seine Beisetzung erfolgte auf dem neuen Friedhof in Ludwigsburg, wo sein Grab sich noch heute befindet.

Nach Kriegsende wurde eine Entschädigung für «Schaden an Leben und Freiheit» in Form von Zahlungen an die Witwe geleistet. Diese wurde Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), um die Ziele ihres Mannes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sie wurde Trägerin der Ehrenmedaille des deutschen Widerstands.

Isabel Eckel / Jochen Faber

Quellen:
Entschädigungsakten im Staatsarchiv Ludwigsburg Stadtarchiv Ludwigsburg Informationen der VVN-BdA Gespräch mit Günther Vogt, Verein Untere Stadt

Fotomontage oben: Gebäude Bietigheimer Straße 2008, Portrait Franz Martin aus «Streiflichter»

Oskar Mannheim

Sicher ist fast nur das Furchtbare

Schloßstraße 23

Oskar Mannheim – in Ludwigsburg zu Hause. Manchen einzelnen Hinweis geben die Akten über diesen Mann her, vieles bleibt Spekulation. Mit der Verlegung des Stolpersteins in der Schloßstraße wird die Erinnerung daran erhalten, dass er einer von uns war.

Sicher ist, soweit die amtlichen Unterlagen nicht trügen: Oskar Mannheim wurde am 21. Juni 1902 in Straßburg geboren. Sein Vater hieß Adolf Mannheim, seine Mutter Sofie Dorothea war eine geborene Leusch und kam aus St. Johann/Saarbrücken. Soweit bekannt, war sein Vater jüdischer Abstammung, er selbst war Mitglied der katholischen Kirche. Oskar Mannheim hatte eine Schwester namens Johanna und zwei Brüder, Kurt und Paul.

Sicher ist auch, dass Oskar Mannheim am 9. März 1934 heiratete: Maria Stemmer aus dem Kreis Saulgau wurde seine Frau. Die beiden wohnten in der Schloßstraße 23 in Ludwigsburg, die damals Vordere Schloßstraße hieß.

Ebenso ist sicher, dass Oskar Mannheim einen kaufmännischen Beruf hatte und in Feuerbach bei Bosch arbeitete – zuletzt allerdings nur in einem unaufälligen Bereich als Hilfsarbeiter.

Ob Oskar Mannheim tatsächlich der SPD nahestand, wie eine Quelle angibt, ist nicht genau belegt – entsprechende Unterlagen wurden während des Faschismus großteils vernichtet, auch um vor Verfolgung zu schützen.

Sicher ist: Am 29. November 1942 ist der offizielle Todestag von Oskar Mannheim, als Todesursache wurde Herzmuskeltrophie angegeben. Höchst wahrscheinlich starb er im Konzentrationslager Auschwitz – doch in einer Karteikarte der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) wird als Todesort das KZ im österreichischen Mauthausen angegeben.

Vieles ist Spekulation: Kam Oskar Mannheim bei Bosch unter, weil die Firma in der NS-Diktatur sehr zweigleisig reiste? Einerseits präsentierte Bosch eine stattliche Anzahl höchst engagierter Nazis gerade auch in den oberen Rängen des Unternehmens, andererseits unterstützte es insgeheim die jüdische Gemeinde mit großen Geldsummen für die Flucht zahlreicher Stuttgarter Juden ins Ausland, und schließlich beschäftigte das Unternehmen auch etliche jüdische Mitarbeiter. Freilich zeigte das Unternehmen keinerlei Hemmungen, für die Vernichtungsfeldzüge der Nazis seine Produkte zu liefern oder Gefangene des NS-Regimes beispielsweise im Ludwigsburger Zuchthaus ebenso wie Zwangsarbeiter/innen aus dem Osten als Sklaven auszubeuten.

Wie auch immer – 1942 gab es für Oskar Mannheim keinen sicheren Schutz mehr.

Was der Anlass für ein Gerichtsverfahren gegen ihn war, ließ sich bisher nicht klären: Welchen Umfang der Vorwurf hatte, ob ihm politisches Engagement gegen die Nazis vorgeworfen wurde, ob es ein vorgeschobenes kaufmännisches Vergehen war, um ihm wegen seiner jüdischen Abstammung zu schaden – Spekulation.

Vieles ist also unsicher, wenn von Oskar Mannheim die Rede ist. Doch eines ist eben sicher: Die Nazis verfolgten ihn, sperrten ihn ein und ermordeten ihn schließlich, als er gerade 40 Jahre alt war – den Ludwigsburger aus der Schloßstraße 23.

Recherche: Max Bleif

Fotomontage oben: Schloßsstraße 2010, Portrait Oskar Mannheim nach Angaben der VVN aus „Streiflichter“

Emma, Frieda und Regina Laupheimer

Drei Schwestern im Herzen der Stadt

Holzmarkt 6

Im September 1919 übernahmen Emma Laupheimer, geboren 1874 und Regina Laupheimer, geboren 1868, die Firma Stöhr, Manufakturwaren und Aussteuerartikel, am Holzmarkt 6 in Ludwigsburg. Emma blieb bis Ende 1938 Inhaberin des Geschäfts. Regina arbeitete als Kontoristin und Verkäuferin im Laden mit. Ihre Schwester Frieda, geboren 1872, führte den Haushalt in der Wohnung über dem Laden, am Holzmarkt 6.

Die Töchter des seit mehreren Generationen in Laupheim ansässigen jüdischen Metzgers Michael Laupheimer und seiner Frau Bertha, waren einige Jahre vor Beginn des Ersten Weltkriegs nach Stuttgart gekommen. Die besseren wirtschaftliche Bedingungen in den Großstädten veranlassten viele zum Wegzug aus den jüdischen Landgemeinden Württembergs.

Mina Laupheimer, eine der fünf Schwestern, betrieb in Bad Cannstatt ein Wäschegeschäft, das sie nach ihrer Heirat, gemeinsam mit ihrem Ehemann Adolf Spengler, bis nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterführte. In „Mischehe“ lebend, entkam sie als einzige von sieben Geschwistern der Verfolgung und Ermordung durch die Nationalsozialisten. Sie überlebte zwar die Kriegszeit, verstarb jedoch im Jahr 1946 in Bad Cannstatt.

Lina Laupheimer, die als Näherin ebenfalls in Bad Cannstatt arbeitete, heiratete 1913 den Cannstatter Kaufmann Otto Richter. Das Ehepaar zog nach Hannover, von wo aus Otto Richter als Handelsvertreter unterwegs war. Otto Richter gehörte, wie auch sein Schwager Adolf Spengler, der evangelischen Kirche an.

Die Heirat Minas im Jahr 1919 war wohl der Anlass der ledigen Schwestern von Bad Cannstatt nach Ludwigsburg zu ziehen und dort eine neue Existenz zu gründen. Die Frauen verfügten dank ihrer langjährige Berufserfahrung über detaillierte Kenntnisse. Beim Angebot ihres Sortiments bestehend aus Aussteuerartikeln, Stoffen und Kurzwaren ergaben sich, so ist anzunehmen, persönliche und familiäre Verkaufsgespräche. „Wir haben alle unsere Sachen bei den Fräulein Laupheimer eingekauft“ wird später ein Nachbar erzählen. „Meine Oma und meine Mutter waren immer bei den Laupheimers im Laden“ berichtete mir dieser Tage der Enkel bzw. Sohn alter Ludwigsburgererinnen.

Nach jahrelangen Schikanen durch die Naziherrschaft mussten die Frauen im November 1938 ihren Laden schließen. Die Nationalsozialisten verdrängten alle jüdischen Geschäftsleute aus ihren Betrieben. Ohne Aussicht auf Lebensunterhalt verließen die Schwestern Laupheimer Ende November 1938 notgedrungen ihre Wahlheimat Ludwigsburg. Ihr erzwungener Wegzug wurde mit dem Kommentar: „Die kommet nimmer“ von Nachbarsleuten registriert. Die Schwestern fanden
zum Teil Unterkunft bei den Laupheimer Verwandten. Emma Laupheimer konnte vorübergehend im ererbten väterlichen Haus in der Kapellenstr. 30 in Laupheim wohnen. Noch im Dezember 1938 wurden die Schwestern mit der Nachricht vom Tod ihres Bruders Sigmund konfrontiert. Er war als einziger der jüdischen „Schutzhäftlinge“, die nach der Pogromnacht im November 1938 von Laupheim ins KZ Dachau gebracht worden waren, nicht zurückgekehrt. Männer der Lagerbesatzung hatten ihn erschlagen.

In Ludwigsburg war die seit 1937 verwitwete Schwester Lina Richter zurückgeblieben. Sie hatte erst im März 1938 von Hannover kommend eine Wohnung in der Leonberger Str. 18 bezogen. Lina Richter wollte im Sommer 1939 von hier aus in die USA emigrieren. In den Restitutionsakten im Staatsarchiv in Ludwigsburg befinden sich die Listen mit den Gegenständen ihrer Wohnungseinrichtung, die sie am 1. August 1939 zum Beladen eines Umzugscontainers aufgeführt hat. Erst im Oktober 1939 wird der Container von einer Stuttgarter Spedition nach Rotterdam gebracht. Er soll nach New York verschifft werden. Lina Richter wird jedoch noch Ende Oktober 1939 im Zuge der jüdischen „Landumsiedlung“ nach Laupheim ausgewiesen. Die Auswanderung ist nicht mehr möglich. Ihr Container mit der Wohnungseinrichtung wurde wegen des Kriegsausbruchs nicht in die USA verschifft, sondern 1941 wieder zur Spedition nach Stuttgart zurückbefördert. Dort wird er einem Altwarenhändler zum Verkauf übergeben. Ob Lina Richter je einen Bruchteil des Inhalts, der mit einem Wert von 10 000 Reichsmark angegeben worden war, erhalten hat, ist nicht mehr zu ermitteln.

Laupheim, die Stadt mit der einst größten jüdischen Gemeinde in Württemberg, vertrieb im Oktober 1941 alle ihre noch dort lebenden jüdischen Mitbürger aus ihren Wohnungen und Häusern, angeblich wegen „drohender Wohnungsnot“. Regina Laupheimer wurde ins überfüllte jüdische Altersheim eingewiesen.
Frieda und Emma Laupheimer, auch Lina Richter, mussten bitterarm auf engstem Raum im Barackenlager in der Wendelinsgrube leben. Es gab dort weder Wasser noch Strom. „Die alten Juden haben ja nichts Brauchbares mehr besessen. Alles was sie verkaufen konnten, haben sie gegen Essen und Lebensmittel getauscht, weil sie ja nichts mehr kaufen konnten…“ sagt ein Laupheimer Bürger nach dem Krieg aus.

In vier Deportationen wurden die Laupheimer Juden vom dortigen Westbahnhof aus in den „Osten“ gebracht. Mit dem letzten Transport am 19. August 1942 kamen die vier Schwestern Regina, Frieda, Emma und Lina ins Ghetto nach Theresienstadt.

Regina Laupheimer, Frieda Laupheimer und Emma Laupheimer wurden am 26. September 1942 in Treblinka ermordet.

Lina Richter wurde am 21. November 1943 im Ghetto in Theresienstadt ermordet.

Die jüngste der Schwestern, Luise, wurde im Juli 1942 mit ihrem Mann Arthur Grab von Laupheim aus nach Auschwitz deportiert. Luise und Arthur Grab sind dort ermordet worden.

Manfred Laupheimer, der ältere der beiden Brüder, wurde ebefalls am 19. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Er wurde am 29. September 1942 in Treblinka ermordet.

Mit dem letzten Transport vom 19. August 1942 war das jüdische Leben in Laupheim augelöscht.
Gudrun Karstedt

Quellen:
Joachim Hahn Jüdisches Leben in Ludwigsburg Karlsruhe Braun Verlag 1998
(erhältlich beim Stadtarchiv Ludwigsburg)
Stadtarchiv Ludwigsburg
Staatsarchiv Ludwigsburg
Stadtarchiv Stuttgart
„Die jüdische Gemeinde Laupheim und ihre Zerstörung“
erstellt von einer Arbeitsgruppe der
„Gesellschaft für Geschichte und Gedenken e.V., Laupheim 2008
Christoph Schmid Laupheim
Cornelia Hecht Antje Köhlerschmidt Die Deportation der Juden aus Laupheim
Eine kommentierte Dokumentensammlung
Laupheim 2004